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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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    25. September bis 23. Dezember 1944
    Der Londoner Aufruf zum Streik der Eisenbahner in den Niederlanden, um die Westmächte bei ihrer Offensive gegen die Deutschen zu unterstützen, traf die Besatzer völlig unvorbereitet. Heftig wurde hinter verschlossenen Türen diskutiert: SS und Wehrmacht forderten, die großen Städte im Westen, allen voran Amsterdam, auszuhungern. Am 22. September schließlich die Erklärung von Reichskommissar Seyß-Inquart, dass die niederländischen Schiffe, die üblicherweise alle Grundnahrung aus dem ländlichen Osten der Niederlande in den Westen transportierten, mit einem Embargo belegt seien – solange der Eisenbahnerstreik anhalte. Aus Deutschland wurden umgehend über 4000 Eisenbahner in die besetzten Niederlande geschickt, so dass die Züge für die Besatzer sehr bald wieder fuhren. Aber für die knapp 800   000 Amsterdamer gab es keinen Nachschub mehr an Gemüse und Kartoffeln, an Fleisch und Mehl; sie lebten nun von den Vorräten. Auch weitere Steinkohle, zur Herstellung von Strom unentbehrlich, blieb aus.
    Am 27. September meldeten Vertrauensleute der Widerstandsorganisationen nach London, wo die niederländische Exilregierung das letzte Wort über die Fortführung des Streiks hatte, dass die Nahrungsvorräte für Amsterdam noch fünf Wochen reichen würden. Am 6. Oktober hieß die Meldung: noch 14 Tage. Drei Tage darauf zeigte sich die erste dramatische Folge des Streiks. Am 9. Oktober 1944 wurde den Haushalten und Betrieben in Amsterdam – von Ausnahmen abgesehen – der städtische Strom, der ohnehin schon rationiert war, total gesperrt. Wer es wagte, Stromleitungen heimlich anzuzapfen, dem drohte die Todesstrafe. Nicht davon abhalten ließ sich die Druckerei, die jeden Dienstag die illegale Zeitung Het Parool herstellte. Die Boek- und Steendruckkerij Joh. Jesse lag am Nieuwezijds Voorburgwal neben dem traditionsreichen Hotel De Port van Cleve, das Strom bekam, und zapfte für die Druckmaschinen Hotelkabel an. Mit dem Strom wurde am gleichen Tag für Amsterdam der Straßenbahnbetrieb eingestellt.
    Damit die Menschen sich täglich etwas Warmes kochen konnten, so knapp die Lebensmittel auch wurden, blieb die städtische Gaszufuhr bestehen: von 12 bis 13 Uhr und von 16 bis 17 Uhr 30. Am 25. Oktober jedoch war auch damit Schluss. Die Stadtverwaltung, in Kenntnis dieser Lage, hatte am 23. Oktober 25 Zentralküchen eröffnet. Sie waren über ganz Amsterdam verteilt und belieferten 38 öffentliche Esslokale, meist in Schulgebäuden. Gegen Bons, die bei den Verteilungsämtern abzuholen waren, nahmen dort von nun an rund 400   000 Amsterdamer täglich eine warme Mahlzeit ein.
    Als Helfer und Helferinnen wurde das Straßenbahn-Personal eingesetzt, das seit dem 9. Oktober arbeitslos war. Das Zentralküchen-Menü der ersten Woche: Montag Kohl, Dienstag Brei, Mittwoch Möhreneintopf, Donnerstag Rübeneintopf, Freitag Kohl, Samstag Erbsensuppe, Sonntag Brei – »Änderungen vorbehalten«. Die Hungrigen standen stundenlang an, denn je Lokal mussten um die 10   000 Menschen bedient werden. Und manchmal waren alle Töpfe leer, wenn man endlich an die Reihe kam.
    Die Amsterdamer waren es gewohnt, keine opulenten Mahlzeiten mehr zu genießen, mit faden Surrogaten aller Art den Küchenzettel anzureichern, in langen Schlangen vor Gemüseläden, Bäckereien und Metzgereien zu stehen. Aber mit dem Herbst 1944 nahm die Frage, wie man sich und seine Familie satt bekommen würde, nie gekannte Dimensionen an. Was war aus der stolzen Handelsstadt Amsterdam geworden, in der sich einst Güter aus aller Welt einfanden? Wie demütigend, öffentlich anzustehen, um einen Teller mit Brei zu erhalten, und Kleidung zu tragen, die wochenlang nicht gewaschen wurde, weil es kein Waschmittel gab, beziehungsweise der Ersatz dafür nur den Stoff zerstört. Die Ersatz-Seife für die Körperhygiene spottete auch jeder Beschreibung.
    Es war jedoch nicht nur der Mangel an Grundnahrungsmitteln und einfachsten Konsumgütern, der die Amsterdamer mürbe machte. Es demoralisierte, hilflos zuzuschauen, wie diese wohlhabende bürgerliche Stadt samt ihren Menschen immer grauer, immer schmutziger wurde, verwahrloste. An vielen Stellen der Stadt, in den Parks vor allem, türmte sich der Müll. In den Grachten schwamm der Unrat.
    Ende September gab es wieder Razzien in Amsterdam auf junge Männer. Diesmal

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