Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
wurden sie als Geiseln genommen. Die Aufrufe der Besatzer, sich für Schanzenarbeiten am Westwall zu melden, wurden kaum befolgt. Mit den jungen Männern als Geiseln sollten die Aufrufe Wirkung zeigen. Denn nun wurde plakatiert, dass die Geiseln erschossen würden, wenn sich nicht endlich genug Arbeitswillige meldeten. Und jeder wusste, dass die Deutschen solche Drohungen wahr machten. Am 5. Oktober wurden in der Hauptstadt rund hundert Männer verhaftet und in das Gefängnis Weteringschans, in Sichtweite vom Leidseplein, gebracht, angeblich wegen illegaler politischer Aktivitäten.
Doch die Gruppen im Widerstand, die sich dem illegalen bewaffneten Kampf verschrieben hatten, ließen sich nicht von Drohungen beeinflussen. Sie setzten öffentliche Zeichen, um die Bevölkerung zu ermutigen, nicht zu resignieren, auch wenn es Opfer kosten würde. Die Deutschen reagierten mit einer Brutalität, die auf totale Abschreckung setzte. Es war ihnen nur recht, dass sich in Amsterdam herumsprach, wie die Besatzer am 1. und 2. Oktober in dem Dorf Putten, zwischen Amersfoort und Ermelo gelegen, ein Exempel statuiert hatten.
In der Nacht des 30. September war bei Putten der Anschlag einer Widerstandsgruppe auf ein deutsches Militärauto misslungen. Nur ein Wehrmachtsoldat konnte entführt werden, die anderen drei entkamen in der Dunkelheit. Die Vergeltungsmaßnahmen, die General Friedrich Christiansen, Oberbefehlshaber der Wehrmacht für die besetzten Niederlande, anordnete, übertrafen alles Bisherige bei weitem. Noch am 1. Oktober, einem Sonntag, wurden in Putten acht männliche Dorfbewohner erschossen und alle Männer zwischen 18 und 50 Jahren auf dem Platz vor der Kirche von Frauen und Kindern getrennt. Am nächsten Vormittag brachte ein Zug 660 Männer ins Lager Amersfoort. Kaum hatte sich der Zug mit den Gefangenen in Bewegung gesetzt, steckten deutsche Soldaten die Häuser von Putten in Brand. Von Amersfoort wurden 589 Männer weiter ins Lager Neuengamme bei Hamburg deportiert; von ihnen starben 540 an den Folgen der Misshandlungen und der Sklavenarbeit.
So schockierend die Nachrichten aus Putten waren, für die Männer im bewaffneten Widerstand bestätigten sie, dass es im totalen Krieg, den die Deutschen führten, nur totalen Widerstand geben konnte. Im Fall von Herbert Öhlschlägel ging es darum, in Amsterdam einen SS -Polizisten auszuschalten, der Experte im Aufspüren von Widerstandskämpfern war. Öhlschlägel hatte durch V-Männer schon gefährlich viel über die Netzwerke des Widerstands erfahren und keine Skrupel, Gefangene zu foltern und erschießen zu lassen.
Das »Überfallkommando Amsterdam« vom landesweiten Widerstand observierte Herbert Öhlschlägel vier Wochen lang. Der Plan war, ihn erst zu entführen und dann zu verhören. Doch Öhlschlägel war gewarnt worden und wehrte sich heftig, als er am späten Nachmittag des 23. Oktober in Amsterdam Zuid an der Ecke Apollolaan/Beethovenstraat in ein Auto gezerrt werden sollte. Die beteiligten Widerstandskämpfer sahen keine Alternative, als den SS -Mann zu erschießen und sich schnellstens davonzumachen.
Jetzt war ein Fall eingetreten, für den die Deutschen gefangene Widerstandskämpfer »aufbewahrten«. Am frühen Morgen des 24. Oktober wurden als Vergeltung für das Öhlschlägel-Attentat 29 politische Gefangene aus der Weteringschans zur Apollolaan, dicht an der Ecke Beethovenstraat, gefahren. Sie mussten sich am dortigen Luftschutzbunker aufstellen. Aus den umliegenden Häusern zwangen die Deutschen 56 Bewohner auf die Straße, die dem zusehen mussten, was nun folgte. Zwei Villen wurden in Brand gesteckt und anschließend die 29 Männer erschossen. Ihre Leichen blieben zwei Stunden liegen, auch das war Absicht. Eine Bronze-Skulptur erinnert auf dem begrünten Mittelstreifen der Apollolaan/Ecke Beethovenstraat an den Mord. Zwei Tage später, am 26. Oktober 1944, erschossen die Besatzer im benachbarten Haarlem, mitten in der Stadt vor der mächtigen St. Bavo-Kirche, willkürlich fünf Amsterdamer.
Es gab auch einen stillen Widerstand, der für die Beteiligten ebenfalls lebensgefährlich war. Nachdem die Elite der portugiesischen Juden im Februar 1944 am Amsterdamer Hauptbahnhof den Zug ins Lager Westerbork hatte besteigen müssen, hatten die Besatzer als letzte die portugiesische Synagoge zwischen Jodenbreestraat und Weesperstraat geschlossen. Aber es lebten weiterhin Juden im Amsterdamer Untergrund, und sie ließen sich ihren wöchentlichen
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