Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
und der fünfjährigen Tochter Yvonne standen an diesem Tag auf der Todesliste. Als sich die Türen der Waggons am 5. September öffneten, stand der Zug an der Rampe in Auschwitz-Birkenau. 549 Menschen mussten sofort den Weg in die Gaskammern, in den Tod, antreten, darunter Johanna und Yvonne Süskind. Walter Süskind arbeitete bis Anfang Januar 1945 im Lager. Dann zwangen die deutschen Verantwortlichen beim Anmarsch der Russen die Lagerinsassen auf den Todesmarsch nach Westen. Wie viele seiner Leidensgenossen hat Süskind diese Strapazen nicht überlebt und starb unterwegs, irgendwo in Polen.
Anne und Margot Frank, 15 und 18 Jahre alt, wurden am 28. Oktober 1944 von Auschwitz weiter ins Lager Bergen-Belsen bei Celle deportiert. Sie überlebten die unmenschlichen Bedingungen dort nicht und sind im Februar/März 1945 gestorben, das genaue Datum ist unbekannt. Ihre Mutter Edith Frank starb am 6. Januar 1945 in Auschwitz, Vater Otto Frank wurde dort am 27. Januar von den Russen befreit.
Nur einen Tag nach dem 3. September verließ der 92. Transport Westerbork, er ging nach Theresienstadt. Unter den Deportierten war Professor David Cohen mit Familie, alle überlebten das Kriegsende. Am 6. September war eine andere Welt in das Lagerleben eingebrochen, als die Juden in Westerbork sich auf engsten Raum zurückziehen mussten, um für wenige Tage Platz für die flüchtenden Frauen und Kinder der niederländischen Nationalsozialisten zu machen. Für die jüdischen Häftlinge schien, wie für die Amsterdamer, der Traum von der Befreiung greifbar nahe.
Es kam anders und war kein Zufall, dass in Westerbork die gewohnte Routine wieder griff, als die deutschen Besatzer in Amsterdam und den westlichen Niederlanden erneut fest im Sattel saßen. Der 93. Transport aus Westerbork fuhr am 13. September nach Bergen-Belsen, darin auch Abraham Asscher, der überlebte. Was die rund 900 im Lager Zurückgebliebenen nicht ahnen können: Dieser 93. Transport, der Westerbork mit deportierten Juden verlässt, ist der letzte.
Von den rund 102 000 niederländischen Juden, die in den östlichen Vernichtungslagern ermordet wurden, haben nach dem Plan der deutschen Besatzer 100 657 die Reise in den Tod im Lager Westerbork angetreten. Die Mörder führten über ihre Taten penibel Buch, darum lässt sich die Zahl der Getöteten und Überlebenden nach den jeweiligen Lagern aufschlüsseln. Von Westerbork fuhren 57 552 Juden nach Auschwitz, 854 von ihnen kehrten zurück; 34 313 fuhren nach Sobibor, 19 von ihnen kehrten zurück; 4897 fuhren nach Theresienstadt, 2053 von ihnen kehrten zurück; 3724 fuhren nach Bergen-Belsen, 2050 von ihnen kehrten zurück; 328 wurden in andere Lager deportiert und überlebten nicht.
Philip Mechanicus, der Chronist von Westerbork, hatte am 8. Mai 1944 in Westerbork einen Transportzug nach Bergen-Belsen besteigen müssen. Am 9. Oktober wurde er mit einem der letzten Züge von Bergen-Belsen nach Auschwitz geschafft und am 12. Oktober mit allen anderen Zuggefährten dort erschossen. Er wurde 55 Jahre alt.
Und dann war da noch die Gruppe von 308 portugiesischen Juden, die im Februar 1944 von Westerbork nach Theresienstadt deportiert wurden. Den Kampf um die Anerkennung als Nicht-Juden hatten sie verloren, doch immer noch hofften sie auf eine lebensrettende »Sonderbehandlung« durch die Deutschen. Eine vergebliche Hoffnung: Von ganz wenigen abgesehen, mussten sie mit den letzten Zügen im September und Oktober 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz fahren. Die portugiesischen Juden aus Amsterdam gehören zu den letzten Juden, die in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet wurden. Ende Oktober ließ SS -Führer Himmler, der Chef aller Lager, die Transporte aus ganz Europa nach Auschwitz einstellen und befahl, mit der Zerstörung der Gaskammern und Krematorien zu beginnen. Die Rote Armee, schon bedrohlich nahe, sollte keine Mord-Spuren finden.
Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, hat der jüdische Dichter Paul Celan in seiner »Todesfuge« formuliert, und mit einer poetischen Formel die Einmaligkeit und Ungeheuerlichkeit dieses Mordens aus der Sprachlosigkeit herausgeholt. Dieses Gedicht bewahrt als Flaschenpost die Erinnerung an all jene im Meer der Zeiten, die »als Rauch in die Luft« stiegen und ihr »Grab in den Wolken« haben.
XVI
Schiffer-Streik: Kein Nachschub an Nahrungsmitteln – Öffentliche Küchen – Öffentliche Erschießungen – Schabbatfeier im Untergrund –
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