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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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nicht-niederländischen Juden, und das waren vor allem die deutsch-jüdischen Flüchtlinge. Lippmann, Rosenthal & Co. ist als »Raubbank« in die Geschichte eingegangen.
    Mitte September riskierten die Besatzer einen radikalen Schritt, um die gesellschaftliche Isolation der niederländischen Juden weiter voranzutreiben. Die Verordnung Nr. 138, wie alle bisherigen von den niederländischen Spitzen der Ministerien gegengezeichnet, kam unter der Bezeichnung »Über den Ordnungsschutz« harmlos daher. Doch sie hatte weitreichende Folgen für die jüdische Bevölkerung. Nicht nur, dass Juden endgültig von allen Sportwettkämpfen, Zoos, Versteigerungen und öffentlichen Anlagen ausgeschlossen wurden. Der gesamte öffentliche Raum – Hotels, Museen, Restaurants, Bibliotheken, Theater, Krankenhäuser, Behörden und auch Märkte – war ab dem 15. September 1941 tabu für sie. Wenig später folgte die Aufforderung, »dass Juden aus dem nichtjüdischen Vereinsleben zu verschwinden haben«. Nirgendwo Protest in der Hauptstadt, kein Flugblatt, keine widerständige Parole an den Mauern.
    Doch eines kann berichtet werden: Amsterdams Polizisten, die die Einhaltung der Verbote überwachen mussten, griffen nicht mit harter Hand durch. Juden gingen weiterhin in Amsterdams Lokale, und kein Polizist holte sie dort gewaltsam heraus. Die Gesetzeshüter machten auch ihre Judenwitze, doch ein »jüdisches Feindbild« hatten sie, wie die allermeisten Amsterdamer, nicht. Juden waren für sie Menschen, Niederländer wie alle anderen.
    Diese dienstliche Nonchalance blieb weder den niederländischen noch den deutschen Chefs verborgen. Sybren Tulp hielt seine Männer an, schärfer durchzugreifen, Verhaftungen vorzunehmen. Das wirkte eine Weile, dann lief alles wieder auf die alte weiche Weise. Überschaubarer wurde die Szene, als im Laufe des Herbstes statt der ursprünglich zwei Cafés für die knapp 80   000 Juden in Amsterdam sechzehn Cafés und siebzehn Restaurants die Konzession erhielten, ausschließlich »Für Juden« da zu sein. Doch das Misstrauen der Besatzer gegenüber den Amsterdamer Polizisten blieb. Sie verzichteten nicht auf Kontrollen durch die eigenen Leute.
    Im September betrat deutsche Feldgendarmerie das Jazzcafé La Cubana, Amstelstraat 43: Ausweiskontrolle, keiner verlässt das Lokal. Im La Cubana spielte der farbige amerikanische Pianist Freddy Johnson, seit Mitte der dreißiger Jahre ein Liebling der Amsterdamer, zusammen mit einem farbigen Saxofonisten und einem Schlagzeuger aus Surinam: ein »Negerclub«, wo verbotene Musik gemacht wurde. Und zugleich ein Ort, wo gezielt kleine geliebte Freiheiten zugelassen wurden, die über die großen Zwänge hinwegtäuschen sollten. Die Jazzmusik störte die Polizisten nicht. Sie waren auf der Suche nach Juden – erkenntlich an ihren zwei »J« im Pass – und nach Menschen ohne Ausweis. Alle Gäste konnten sich ausweisen, bedächtigen Schrittes gingen die deutschen Herren zurück zum Ausgang. Da begann Freddy Johnson auf dem Klavier einen Song zu spielen. »I’ll be glad when you’re dead, you rascal you!« Leise begleitete ihn der Schlagzeuger. Alle Anwesenden hätten mitsummen können – die deutschen Polizisten glücklicherweise nicht.
    Ein großer öffentlicher Raum waren die Märkte in Amsterdam. An jedem Tag der Woche konnte man in der Stadt unter freiem Himmel bei rund 2000 Händlern alles einkaufen. Dass Juden als Käufer und Verkäufer agierten, war Hans Böhmcker, dem Vertreter des Reichskommissars für Amsterdam, ein Dorn im Auge. Nachdem er im Februar das Judenviertel durch Hinweisschilder und Posten von der übrigen Stadt abgesondert hatte, forderte er im Frühsommer 1941 von der Stadtverwaltung eine Liste über die Anzahl der jüdischen Händler. Diesmal hatten die Beamten keine Eile, denn es schwante ihnen, was die Deutschen bezweckten. Als die Statistik schließlich an Böhmcker geliefert wurde, wies die Verwaltung darauf hin, jährlich rund 600   000 Gulden allein für die Markt-Konzessionen an jüdische Händler einzunehmen. Würden auch die rund fünfzig jüdischen Großhändler in den Markthallen wegfallen, hätte die Stadt einen weiteren Verlust von 35   000 Gulden.
    Die Besatzer ließen schnell die Katze aus dem Sack. Ab dem 15. September dürfe kein Jude mehr seinen Fuß auf einen der Märkte setzen, weder als Verkäufer noch als Käufer. Die Beamten wagten Widerspruch: Zehntausende Amsterdamer Juden müssten doch ernährt werden, brauchten

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