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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Hauptstadt. Die Mehrheit der Bevölkerung war gegen Widerstand und Sabotage eingestellt, überzeugt, dass dies die Besatzer provoziere und die Lage nur verschlimmere. Sie fühlte sich bestätigt von den höchsten niederländischen Beamten im Justiz-, Innen- und Wirtschaftsministerium, die unter dem Druck der Besatzer am 28. Oktober in allen Zeitungen einen »Anti-Sabotage-Aufruf« veröffentlichten. Es gebe noch »Landsleute, die offenbar den Ernst der gegenwärtigen Lage nicht verstanden haben. In ihrer Verblendung meinen sie durch Sabotageakte der Besatzungsmacht schaden zu können …« Das war deutlich, und die Beamten appellierten an die Bevölkerung: »Helft mit, dass unserem Volk kein Schaden zugefügt wird durch die Taten von unbesonnenen und verbrecherischen Elementen.« Menschen wie Arie Addicks waren sehr allein, im Leben und im Tod.
    Ein bisschen Widerstand wagten die Amsterdamer im Dunkeln. Wenn vor dem Hauptfilm das Niederländische Journal und die Deutsche Wochenschau liefen, brachen im Publikum regelmäßig vehemente Hustenanfälle aus, der Lärmpegel stieg, Unruhe machte sich breit. Nicht selten musste die Aufführung erst einmal unterbrochen werden. In der zweiten Hälfte des Jahres setzten die Kinos auf Betreiben der Besatzer Kontrolleure während der Filmvorführungen ein, teils bezahlt, teils freiwillig. Immerhin gab es für diesen Job Freikarten, auch für eine Begleitung, auf den besten Plätzen.
    Insgesamt blieb der Besuch in den 35 Kinos der Hauptstadt auch im Herbst 1941 mäßig. Dafür strömten die Amsterdamer am 1. September in die Hollandsche Schouwburg in der Plantage Middenlaan, nur wenige Minuten vom Zoo gelegen. Herbert Nelson hatte das traditionsreiche Theater gemietet, um die berühmte Nelson-Revue seines Vaters wieder aufleben zu lassen. »Musik! Muziek!« hieß die neue Revue. Rudolf Nelson, vor 1933 in der Berliner Revue-Szene der Größte, saß am Flügel in der Hollandsche Schouwburg und spielte seine kessen Schlager wie einst in den dreißiger Jahren im Kabarett-Theater La Gaîté im Tuschinski-Kinopalast.
    Was die Nelson-Revue 1941 im besetzten Amsterdam zu etwas ganz Besonderem machte: Der jüdische Emigrant aus Deutschland hatte die jüdische Niederländerin Henriette – »Heintje« – Davids als Star gewonnen, die seit über zwanzig Jahren als Komikerin und Schauspielerin auf den Bühnen der Niederlande nicht wegzudenken war. »Musik! Muziek« wurde ein Erfolg, das Theater war ständig ausverkauft. Mitte Oktober folgte die nächste Premiere mit »Reiselektüre – Reislectuur«. Heintje Davids sang die populären Lieder ihres 1939 verstorbenen berühmten Bruders Louis Davids. Das Revue-Finale stand unter dem Motto »Das Leben geht weiter«.
    Als »Reiselektüre« über die Bühne der Hollandsche Schouwburg ging, hatten die Besatzer die jüdische Van-Leer-Stiftung genehmigt und Henriette Davids als eine von zwei Leitern angestellt. Wenn es ums Geld ging, ließen die Deutschen mit sich reden. Für rund 3,5 Millionen Gulden erkaufte sich der jüdische Amsterdamer Fabrikant Bernard van Leer die Emigration in die USA : für seine Familie und Freunde, vierzehn Personen insgesamt, und seinen exquisiten privaten Zirkus aus Araber-Pferden. Zwei Millionen dieser Gulden steckten die Besatzer ein, 1,5 Millionen überließen sie dem Jüdischen Rat, um die Van-Leer-Stiftung zu gründen. Sie sollte in Amsterdam organisieren, was sich in den Augen der Besatzer schon im nationalsozialistischen Deutschland mit dem »Jüdischen Kulturbund« bewährt hatte: ein jüdisches Kultur-Getto, in dem jüdische Künstler vor ausschließlich jüdischem Publikum auftraten.
    Eine ideale Lösung, denn wohin vorläufig mit den entlassenen jüdischen Musikern der Sinfonie-Orchester, der Radiosendungen, der Theater und Kabaretts? Den jüdischen Sängerinnen und Tänzern, den Schauspielern, Kostümschneiderinnen, Masken- und Bühnenbildnern? Großzügig stellten die Deutschen unentgeltlich die Hollandsche Schouwburg zur Verfügung, lag sie doch mitten in einem seit Jahrzehnten von Juden bevorzugten Wohnviertel. Als Joodse Schouwburg etikettiert, wurde es das feste Haus für ein jüdisches Sinfonie- und Kammerorchester, ein jüdisches Theater- und Kleinkunst-Ensemble und ein jüdisches Unterhaltungsorchester, und alle Mitarbeiter erhielten kleine, aber sichere Gagen.
    Während die Künstler der verschiedenen Sparten ihre ersten Veranstaltungen in der Joodse Schouwburg vorbereiteten, verhandelte der

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