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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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jüdischen Männern. Am 11. Juni wurden 247 Amsterdamer Polizisten zusammengerufen und jeder erhielt einen Zettel mit Namen und Adressen von drei Juden. Der Kommandant der deutschen Polizei befahl ihnen, diese Männer zu verhaften und zu »einem kurzen Verhör« ins Hauptquartier von SD (Sicherheitsdienst) und SiPo (Sicherheitspolizei, wozu auch die Gestapo gehörte) in die Euterpestraat zu bringen. Viele deutsche Juden seien heimlich in die Niederlande geflüchtet. Die deutschen Autoritäten wollten auf diese Weise ihre Akten vervollständigen. »Mit Nachdruck« wies der Kommandant die Amsterdamer Polizisten darauf hin, dass es sich um einen »deutschen Befehl« handele, »gegen dessen Ausführung es keine Bedenken geben kann«.
    In den folgenden Stunden lieferten die Polizisten ungefähr 200 Juden in der Euterpestraat ab, darunter auch 100 niederländische Juden. Die rüde Art, mit der die Verhafteten dort behandelt wurden, fiel den Amsterdamer Polizisten auf. Schnell sprach sich herum, dass die Juden allesamt ins Lager Mauthausen verbracht wurden. Die Polizisten fühlten sich hintergangen und beschwerten sich bei ihren Vorgesetzten. Sybren Tulp, Amsterdams niederländischer Polizeichef, der oft die »gesunde Kameradschaft« im Amt beschwor, versicherte, dass Ähnliches nicht mehr vorkommen würde.
    In ihren Erinnerungen erzählt die deutsch-jüdische Emigrantin Grete Weil, die mit ihrem Mann Edgar in der Beethovenstraat 48 wohnte und dort ein Fotoatelier führte, von jenem »11. Juni 1941, ein strahlend schöner Frühsommertag«. Edgar Weil war tagsüber in Rotterdam gewesen, und hatte sich ein kubanisches Visum geholt. Seine Frau besaß schon eins; die beiden hofften, über Kuba in die USA einwandern zu können. Gegend Abend rief eine Bekannte an und warnte: »… die gehen mit Listen von Haus zu Haus und holen die Jungens heraus.« Der zweiunddreißigjährige Edgar Weil verlässt vorsichtshalber die Wohnung in der Beethovenstraat. Er hat zwei sichere Adressen von nichtjüdischen Amsterdamern. Er wird anrufen, wenn er an einer angekommen ist.
    »Wir umarmen uns kurz. Das Warten beginnt. Kein Anruf kommt … Nach einer halben Stunde ist mir klar, dass Edgar der Gestapo in die Hände gelaufen sein muss.« Die Tage vergehen, keine offizielle Mitteilung. Aber es spricht sich unter den deutschen Juden in Amsterdam Zuid herum, dass die Besatzer 300 jüdische Männer in ihren Wohnungen verhaften wollten – »aber da noch einige fehlten, wurden sie auf der Straße festgenommen«. Edgar Weil ist einer von ihnen. Am 1. Juli bekommt Grete Weil eine vorgedruckte Postkarte »mit zittriger Schrift ausgefüllt« – aus dem KZ Mauthausen in Österreich. Nach offiziellen Angaben stirbt Edgar Weil dort am 17. September 1941. Grete Weil erfährt es Anfang Oktober. Die fünfunddreißigjährige deutsche Jüdin nimmt die Schlafmittel nicht, die sie gehortet hat und beschließt, am Leben zu bleiben.
    Nur zwei Tage nach der verkappten Razzia wird in Amsterdam das mit dem Balkankrieg erlassene Tanzverbot aufgehoben; es darf mittwochs, am Samstag und Sonntag von 16 bis 23 Uhr wieder getanzt werden. Eine Idee des deutschen Propagandaministers, der Gleiches für das Deutsche Reich angeordnet hat. Was nur die engsten Mitarbeiter von Joseph Goebbels wissen: Den Kriegsgegnern soll vorgegaukelt werden, dass Deutschland im Sommer-Vergnügen schwelgt – während an der Grenze weit im Osten Menschen und Kriegsmaterial heimlich in Stellung gebracht werden.
    Am 22. Juni 1941 überfallen rund 3 Millionen deutsche Soldaten ohne Kriegserklärung mit 600   000 Fahrzeugen und einer Million Pferden die Sowjetunion entlang einer 2000 Kilometer langen Grenze. Bis zu diesem Tag mit Deutschland verbündet, wird das »bolschewistische« Russland nun mit einem Krieg überzogen, der seit Monaten von den Generälen der Wehrmacht vorbereitet wurde.
    Am 24. Juni hören die Niederländer, die nach 9 Uhr abends Radio Oranje einstellen, aus London eine Ansprache von Königin Wilhelmina. Einerseits wendet sich die Königin entschieden gegen »Grundsätze und Praxis des Bolschewismus«. Andererseits begrüßt sie Russland als neuen Bundesgenossen im Kampf gegen Hitler. Am 28. Juni verordnet Reichskommissar Seyß-Inquart, die Bilder von lebenden Mitgliedern des Königshauses aus allen öffentlichen Gebäuden zu entfernen, da sich »Wilhelmine von Oranien-Nassau … nunmehr an die Seite der Sowjets« gestellt hat.
    Am Tag zuvor hatten der Reichskommissar und

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