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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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seine Vasallen eine Großdemonstration auf dem Museumsplein in Amsterdam organisiert. Neben tausenden von Amsterdamern, die meisten NSB -Mitglieder oder Sympathisanten, kamen aus dem ganzen Land mit Extra-Zügen die Getreuen, die im Russland-Krieg die glorreiche Vollendung der NS -Herrschaft in Europa sahen. Reichskommissar Seyß-Inquart kündigte dem besetzten Land eine neue Phase der Nazifizierung an: »Ich sehe in dieser Kundgebung den Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Reorganisation in den Niederlanden, die jetzt, wo die Entscheidung fällt, auch hier angefasst werden muss.« Es sei an der Zeit, dass das niederländische Volk seinen Widerstand gegen den Antisemitismus aufgäbe.
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    Seyß-Inquart sprach von einem großen Podium zur Menge auf dem Museumsplatz, im Rücken das Rijksmuseum, von hohen Masten mit Hakenkreuzfahnen flankiert. Am entgegengesetzten Ende des Platzes ein Transparent – »Mit Adolf Hitler in ein neues Europa«. Zum Abschluss rief der oberste deutsche Besatzer: »Niederländer, blickt nach Osten!« Verheißung und Warnung zugleich.
    Noch im Juni wurde in Amsterdam am Dam ein Rekrutierungsbüro für die »Freiwillige Legion« eingerichtet, in der niederländische Männer gemeinsam mit den Deutschen an der Ostfront kämpften. Bis 1945 würden sich insgesamt 25   000 Niederländer freiwillig melden, die in der Heimat unter einem niederländischen General auf den Krieg vorbereitet und anschließend in Deutschland der Waffen- SS unterstellt wurden, bevor es gen Osten ging. Ende Juni war es schon wieder vorbei mit dem harmlosen Vergnügen auf öffentlichen Tanzflächen: wegen der Kämpfe im Osten kehrte ein strenges Tanzverbot zurück. Wer dagegen verstieß, musste tausend Gulden zahlen oder für sechs Monate ins Gefängnis.
    Der Krieg war unersättlich. Unter Androhung von Strafen riefen die Besatzer Mitte Juli dazu auf, alle Arten von Metall abzuliefern. Der Militärindustrie gingen die Grundstoffe aus. Doch die Amsterdamer lieferten kaum etwas; dafür wurde wieder einmal eifrig in Gärten und abseitigem Gelände gegraben und vergraben. Flugblätter tauchen auf: »Unsere Unterdrücker fordern wieder ein Opfer: Kupfer, Nickel Zinn … Wir werden es nicht bringen! … Ein Stück Metall, das an den Feind ausgeliefert wird, ist Verrat an der Sache unserer nationalen Befreiung … Es lebe das Vaterland! Es lebe die Freiheit! Es lebe die Königin!« Endlich konnte man wieder ein bisschen Widerstand leisten, ohne sich zu sehr zu gefährden. Aber in ohnmächtiger Wut mussten die Amsterdamer zusehen, wie Straßenbahnschienen aus dem Pflaster gerissen wurden, um in die Waffenschmieden nach Deutschland geschafft zu werden.
    Und es war Sommer. Ende Juni hatten die Schulferien begonnen. Die Wiesen blühten. Die Sonne schien, ein leichter Wind wehte, als am 20. Juli, einem Sonntag, die Amsterdamer auf ihren Rädern hinaus vor die Stadt fuhren. Am Abend schreibt Hendrik Jan Smeding in sein Tagebuch, in ihm sei »eine Verliebtheit in das Leben«. Er ist mit seinen Gedanken mehr bei »der guten Erde« als beim Krieg, setzt sich zufrieden vor das offene Fenster, liest in Goethes »West-Östlichem Divan« und kommt in eine heitere, ruhige Stimmung. Ja, in Russland herrscht ein schrecklicher Krieg und ein ganzes Volk wird überfallen – aber an einem solchen Tag muss man einfach zugeben, »das Leben ist herrlich!«.
    Am Montagmorgen dann der Alltag: Marmelade gibt es nur noch gegen Bezugsschein und Tee nur noch als Surrogat. Im Juli heulen mehrfach die Sirenen: Luftalarm. Am 13. und 14. fallen Bomben auf Amsterdam Zuid und die Gegend östlich vom Oosterpark. Über zwanzig Bewohner werden verwundet, rund fünfzig müssen evakuiert werden. Bei einem Luftangriff der Engländer Mitte August sterben zwei Menschen.
    Der Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 ist ein gnadenloser Eroberungs- und Vernichtungskrieg. Nach Heinrich Himmlers »Plan Ost« sollen über dreißig Millionen Menschen, die im östlichen Europa zwischen dem ehemaligen Polen, dem Kaukasus, Ostsee und Ural leben, »verschrottet«, »rassisch ausgelaugt« oder nach Sibirien vertrieben werden. Der Osten wird »Lebensraum« und Todeszone zugleich, je nachdem ob man zu den »Herrenmenschen« oder zum »Ungeziefer« gehört, worunter vor allem die Juden gezählt werden. Den braunen Machthabern in Berlin eröffnen sich Handlungsräume für eine Politik, deren Ziel

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