Leben nach dem Tod - warum es nicht irrational, sondern logisch ist, an das Jenseits zu glauben
Die Moslems sind berühmt für ihre Schilderungen des Jenseits im Sinne körperlicher Freuden (und Schmerzen). In ihrem Himmel findet man beispielsweise herzhafte Mahlzeiten, erholsamen Schlaf und jede
Menge Sex. Die alternative, inoffizielle Sicht – in allen drei Religionen von der mehr kontemplativen Richtung vertreten – ist die Unsterblichkeit der Seele: Der Körper vergeht, aber die Seele lebt weiter. Seltsamerweise stammt diese Vorstellung ursprünglich weder aus der Bibel noch aus dem Koran, sondern aus der griechischen Philosophie.
Atheisten, die standhaft behaupten, das Leben nach dem Tod sei eine religiöse Idee, wundern sich vielleicht, dass solche Gedanken auch von den Philosophen im 5. Jahrhundert v. Chr. intensiv diskutiert wurden. Die herausragende Bedeutung des Themas im Gedankengut der klassischen Antike hat den Philosophen Leo Strauss sogar zu der Bemerkung inspiriert, Transzendenz sei kein Reservat der Offenbarungsreligion. 9 Bei den alten Griechen und Römern kamen die interessantesten Vorstellungen über das Leben nach dem Tod nicht aus den Tempeln, sondern von den Philosophen. Sie gründeten sich auf Vernunft, nicht auf Offenbarung. Die griechische Religion hatte nur eine sehr schwache, verwässerte Jenseitsvorstellung. In der Gesellschaft, die Homer in der Ilias und der Odyssee porträtiert, sind nur die Götter unsterblich, während Sterblichkeit zum Menschsein gehört. Das Beste, worauf Menschen hoffen können, ist dauerhafter Ruhm durch große Taten im Krieg oder einen Sieg bei den Olympischen Spielen. Nicht dass es jenseits des Todes keine Zukunft für Menschen gäbe; ihr Weg führt sie hinab in die unwirkliche, schattenhafte Unterwelt, die »Hades« genannt wird. Nach dieser Aufassung schaffen es nur einige wenige Glückliche auf die Inseln der Gesegneten, meist große Helden, die aus einer Liaison der Götter stammen.
Während die griechische Religion, wie die meisten anderen
Systeme, keinen Versuch machte, ihre Aussagen über das Jenseits zu rechtfertigen, finden wir bei Sokrates in Platons Phaidon das erste bekannte Argument für ein Leben nach dem Tod. Sokrates erklärt, dass unsere Körper sterblich sind, weil sie aus vergänglichem Material bestehen, dass unsere Seele aber solchen Beschränkungen nicht unterworfen ist. Da die Philosophen die Seele vom Körper und den Geist von physischen Bedürfnissen befreien möchten, vertritt Sokrates die Meinung, das Leben nach dem Tod sei die Verwirklichung dessen, was die Philosophen immer schon gewollt hätten. Und in dem Maße, wie man diese Art von intellektueller Meisterschaft in diesem Leben erlangt, bekommt man einen Vorgeschmack auf das, was einen im nächsten erwartet. Kein Wunder, dass Sokrates so gelassen war, als er den Schierlingsbecher leerte.
Sokrates lebte zu einer Zeit, als die Religion in aller Welt blühte. Wissenschaftler bezeichnen sie als »Achsenzeit«. Während dieser Periode um das 5. Jahrhundert v. Chr. verbreitete sich in Persien der Zarathustrismus, in China der Konfuzianismus und Taoismus, in Indien der Buddhismus. Hinduismus und Judentum traten ebenfalls in eine neue Entwicklungsphase ein. Es mag befremdlich klingen, wenn ich sage, dass sich Religionen »entwickeln«. Aber es ist nichts Außergewöhnliches an der Vorstellung, dass religiöse Ideen eine Art Evolution durchlaufen oder dass unser Verständnis des Himmels eine Geschichte hat. Die meisten Gläubigen haben damit kein Problem. Atheisten jedoch unterstellen manchmal, dass die Religion sich nur selbst aktualisiert, um ihre Lehren an die Realität anzupassen. Aber macht das nicht auch die Wissenschaft? Wir beurteilen die Wissenschaft nicht nach den Werken des Thales oder des
Ptolemäus; wir sprechen ganz selbstverständlich von wissenschaftlichem Fortschritt. Wie die Achsenzeit zeigt, gibt es auch einen religiösen Fortschritt. Niemand sagt, dass sich die Wahrheit selbst verändert – das Relativitätsprinzip hat schon mehrere Milliarden Jahre funktioniert, bevor Einstein es entdeckte –, aber unser menschliches Verständnis kann sich verändern, und es tut das auch.
Ein klassischer Fall von religiösem Fortschritt ist im Judentum die Entwicklung vom Unglauben zum Glauben an ein Leben nach dem Tod. Dass die Juden ursprünglich ein Leben nach dem Tod geleugnet haben, mutet wie eine Ironie an, immerhin sind sie die Begründer des Monotheismus. Aber die Menschen, die als erste die Vorstellung von einem einzigen Gott entwickelten, waren Nachzügler bei
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