Leben nach dem Tod - warum es nicht irrational, sondern logisch ist, an das Jenseits zu glauben
den Jenseitsvorstellungen. Die Thora, die ersten fünf Bücher des Alten Testaments, erwähnt nicht ausdrücklich ein Leben nach dem Tod. In den Büchern des Hiob, der Prediger und anderen gibt es mehrere Passagen, aus denen man schließen kann, dass wir leben und sterben, und damit ist die Geschichte zu Ende. Die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod entwickelte sich für die Juden seltsamerweise aus einem frustrierten Gerechtigkeitsdenken heraus. Die alten Israeliten waren der Meinung, dass die gehorsame Befolgung der göttlichen Gesetze belohnt würde, und solche Belohnungen erwartete man in diesem Leben. Ein langes Leben, große Herden, viele Konkubinen – was kann sich ein Mann sonst noch wünschen? Sogar Zion, die von Gott versprochene Erneuerung Israels, wurde auf Erden erwartet.
Doch als die Juden verheerende Verluste und Niederlagen hinnehmen mussten, beispielsweise das Babylonische Exil im 6. Jahrhundert v. Chr., kamen ihnen Zweifel an den
Aussichten für eine irdische nationale Wiedergeburt und auch an dem diesseitigen Lohn für ein tugendhaftes Leben. Während dieser Zeit stellten die Juden nie ihren Status als auserwähltes Volk in Frage, und auch die Treue zu ihrem Gott gaben sie trotz mancher Zweifel und Enttäuschungen nicht auf. Stattdessen gelangten sie zu der Überzeugung, dass es ein Leben nach dem Tod gab, in dem ein »Neues Jerusalem« errichtet und allen Menschen Gerechtigkeit widerfahren würde. Diese Sichtweise spiegelt sich in späteren Büchern des Alten Testaments wider, beispielsweise Jesaja und Daniel. In Daniel 12, 2 heißt es: »Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu.« Aus dieser Sicht wird das Kommen des Messias das Ende der Welt und die Zeit des Gerichts ankündigen. Am Tag des Gerichts wird Gott entscheiden, wie unser Leben nach dem Tod aussehen soll. Einige werden ihre himmlische Belohnung erhalten, andere in den Flammen der Hölle schmoren, ein Bild, das die Juden vielleicht aus der zentralen Stellung des Feuers im Zarathustrismus abgeleitet haben.
Der jüdische Konsens über das, was nach dem Tod geschieht, ergab sich aus den Folgen einer Debatte zwischen Sadduzäern und Pharisäern. Die Sadduzäer waren die biblischen Schriftgelehrten, die ihre Ablehnung der Unsterblichkeit mit dem begründeten, was in der Thora gesagt und nicht gesagt wird. Die Pharisäer waren die Intellektuellen, deren Argumente über eine wortgetreue Auslegung der Texte hinausgingen. Da wir nach dem Bilde Gottes geschaffen sind, so erklärten sie beispielsweise beharrlich, hätten wir auch Anteil an Gottes Unsterblichkeit. Die Auseinandersetzung
zog sich über zwei Jahrhunderte und wurde etwa um das 1. Jahrhundert v. Chr. zugunsten der Pharisäer entschieden. Heute, so erklärt der Historiker Jacob Neusner, ist der Glaube an ein Leben nach dem Tod im Judentum die herrschende Lehrmeinung. Dieser Status ist vielleicht der Tatsache zu verdanken, dass die Juden damit trotz aller Leiden, die sie als Volk zu erdulden hatten, immer noch an Gottes Gerechtigkeit glauben konnten. »Die Vorstellung der Unsterblichkeit im Judentum«, schreibt Abraham Neuman, »entstand nicht, um die Menschen zu beschwichtigen, sondern um Gott zu rechtfertigen.« 10
Es dauerte zwar lange, bis die Juden die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod akzeptierten, aber als sie es taten, gaben sie ihr einen radikal neuen Sinn. Das wird deutlich, wenn wir die jüdische Jenseitsvorstellung mit der sokratischen vergleichen. Während Sokrates die Ansicht vertrat, die Seele würde beim Tod den Körper verlassen und in einem himmlischen Reich von Ideen weiterleben, glaubten die Juden an die Auferstehung des Fleisches. Beim Jüngsten Gericht, so meinten sie, würde Gott Körper und Seele wieder miteinander verbinden, sodass die gesamte Person jenseits des Grabes weiterlebt.
Die Christen haben diese jüdische Vorstellung der körperlichen Auferstehung übernommen. Das ist kaum überraschend, weil das Christentum die einzige Religion in der Geschichte ist, die eine andere Religion, das Judentum, für vollständig wahr hält. Doch wie der Theologe N. T. Wright hervorhebt, war die Auferstehung für Juden eine relativ periphere Lehre, während sie im Christentum eine absolut zentrale Rolle spielt. Die Juden erwarteten ihre Auferstehung am Ende der Zeit. Christen versicherten, der Messias
sei bereits erschienen und drei Tage nach seiner Kreuzigung von
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