Leben nach dem Tod - warum es nicht irrational, sondern logisch ist, an das Jenseits zu glauben
werden. Sie sagen: »Ja, ich habe gelogen, aber unter diesen Umständen hatte ich keine Alternative.« Oder: »Ja, ich habe gestohlen, aber ich muss doch für meine Familie sorgen.« Kaum jemand sagt: »Natürlich bin ich ein Lügner und ein Dieb, und ich finde das voll in Ordnung.« Die Moral sorgt für einen universellen Maßstab oder Standard, auch wenn dieser Standard fast genauso universell verletzt wird.
Moral ist eine überraschende Eigenschaft der Menschheit, weil sie den Gesetzen der Evolution zu widersprechen scheint. Evolution ist deskriptiv: Sie sagt, wie wir uns verhalten. Moral ist präskriptiv: Sie sagt, wie wir uns verhalten sollten. Abgesehen davon scheint evolutionäres Verhalten das genaue Gegenteil von moralischem Verhalten zu sein. Evolution impliziert, dass wir selbstsüchtige Geschöpfe sind, die in der Welt überleben und sich fortpflanzen wollen. Das sind wir in der Tat, aber wir sind auch selbstlose Geschöpfe, die sich für das Wohlergehen anderer einsetzen, das uns manchmal sogar wichtiger ist als unser eigenes. Wir nehmen am Spiel des Lebens teil und sind verständlicherweise parteiisch im Hinblick auf unser eigenes Wohlergehen, wohingegen die Moral sich fernhält, die Dinge unparteiisch oder mit dem »Auge Gottes« betrachtet und uns aufordert, uns für das Wohlergehen anderer einzusetzen. Während die Evolution also einen deskriptiven Bericht über den menschlichen Eigennutz erstellt, gibt uns die Moral einen Standard des menschlichen Verhaltens vor, der häufig dem Eigennutz zuwiderläuft.
Wenn wir also nur evolutionäre Primaten sind, wie lässt sich dann die Moral als eine zentrale und universelle Eigenschaft unserer Natur erklären? Warum sollte sich Moral unter Geschöpfen entwickeln, die zwanghaft auf Überleben und Fortpflanzung ausgerichtet sind? Darwin selbst war das Problem durchaus klar. In The Descent of Man argumentierte er, dass, »wenn auch eine hohe Stufe der Moralität nur einen geringen oder gar keinen Vorteil für jeden individuellen Menschen und seine Kinder über die andern Menschen in einem und demselben Stamme darbietet, doch eine Zunahme in der Zahl gut begabter Menschen und ein Fortschritt in dem allgemeinen Maßstab der Moralität sicher dem einen Stamm einen unendlichen Vorteil über einen andern verleiht« . 7 Darwin geht es darum, dass ein Stamm von tugendhaften Patrioten, dessen Angehörige alle bereit sind, Opfer für die Gruppe zu bringen, erfolgreicher sein und deshalb von der natürlichen Auslese stärker begünstigt würde als ein Stamm von selbstsüchtigen Individuen. Dies ist das Gruppenselektionsargument, und über viele Jahrzehnte hielt man es für einen akzeptablen Weg, Evolution und Moral miteinander zu vereinbaren.
Aber mittlerweile ist den Biologen klar, dass dieses Argument eine fatale Schwachstelle hat. Wir müssen uns die Frage stellen, wie ein Stamm von Individuen überhaupt altruistisch werden konnte. Stellen Sie sich einen Stamm vor, in dem viele Leute ihre Nahrung mit anderen teilen oder die Gemeinschaft freiwillig vor Angriffen von außen schützen. Wie würde es nun individuellen Betrügern ergehen, die von dieser Regelung profitieren, aber ihre eigene Nahrung horten und sich weigern, freiwillig etwas für die Gemeinschaft zu tun? Diese Halunken würden eindeutig am besten
dastehen. Anders gesagt: Betrüger könnten leicht zu Trittbrettfahrern werden, die von den Opfern der anderen profitieren, ohne selbst irgendwelche Opfer zu bringen, und sie würden mit größerer Wahrscheinlichkeit überleben als ihre altruistischer eingestellten Stammesgenossen. In The Origin of Virtue präsentiert uns Matt Ridley ein aktuelleres Beispiel: Wenn man sich darauf verlassen könnte, dass niemand in einer Gemeinschaft Autos stiehlt, dann müssten Autos nicht mehr abgeschlossen werden, und man könnte eine Menge Kosten für Versicherungen, Wegfahrsperren und Alarmvorrichtungen sparen. Der gesamten Gemeinschaft würde es besser gehen. Aber, so schreibt Ridley: »In einer solchen Welt des Vertrauens könnte ein Einzelner davon profitieren, dass er gegen die soziale Regel verstößt und ein Auto stiehlt.« Nach dieser Logik würden sogar Stämme, die patriotisch und altruistisch begonnen haben, bald voller selbstsüchtiger Betrüger sein. Das Problem der Trittbrettfahrer gilt nicht für alle Situationen – es gibt einige wenige Umstände, unter denen die Gruppenselektion immer noch funktioniert –, aber seine Anerkennung hat Darwins
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