Leben nach dem Tod - warum es nicht irrational, sondern logisch ist, an das Jenseits zu glauben
achtzigjährigen Frau. Sie ist weder seine Großmutter, noch kann er vernünftigerweise annehmen, dass sie ihm nächste Woche im Gegenzug ihren Sitzplatz überlassen wird. Weder die Vetternwirtschaft noch der Altruismus auf Gegenseitigkeit können in diesem Fall als Erklärung dienen. Aber solche Akte des Altruismus sind unter Menschen weit verbreitet und absolut üblich. Viele Leute spenden Blut, ohne dafür irgendeine Belohnung zu erwarten. Andere helfen freiwillig Schwerbehinderten. Wieder andere spenden Geld für den Kampf gegen Malaria oder für Aidsopfer in Afrika, engagieren sich für den Tierschutz im eigenen Umfeld, gegen Sextourismus in Thailand oder religiöse Verfolgung in Tibet. Seit eh und je gibt es Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Leben bedürftiger Fremder zu verbessern, oder die ihr eigenes Leben für Leute aufs Spiel gesetzt haben, die nicht mit ihnen verwandt sind und sich unmöglich für ihre Hilfe revanchieren können.
Einige Biologen geben zu, dass die Evolution hier keine Erklärung zu bieten hat. »Altruismus gegenüber Fremden«, schreibt der Biologe Ernst Mayr, »ist ein Verhalten, das durch die natürliche Auslese nicht unterstützt wird.« 13 Trotzdem versuchen einige eingefleischte Anhänger der
Evolutionslehre auch dieses Verhalten innerhalb des evolutionären Rahmenwerks unterzubringen. Ihr bestes Argument lautet, dass hinter scheinbar desinteressiertem Altruismus gegenüber Fremden ebenfalls ein heimliches persönliches Motiv steckt. Unser guter Ruf ist uns lieb und teuer, weil er unsere gesellschaftliche Position fördert und vielleicht sogar unsere Heiratsaussichten verbessert. Michael Shermer räumt ein, es sei möglich, sich einen guten Ruf zu erwerben, indem man so tut, als engagiere man sich für das öffentliche Wohl, meint jedoch, solchen Leuten käme man im Lauf der Zeit auf die Schliche. Er argumentiert: »Am besten überzeugt man andere davon, dass man ein moralischer Mensch ist, indem man es wirklich ist und nicht nur so tut, als ob.« Der Psychologe David Barash stimmt ihm zu: »Sei moralisch, und dein Ruf wird davon profitieren.« Das Motiv bleibt hier der persönliche Nutzen; wir helfen anderen nicht um ihrer selbst willen, sondern weil wir persönlich etwas davon haben. Einmal mehr wird moralisches Verhalten als äußere Tarnung des egoistischen Gens erklärt. 14
Aber Shermer und Barash setzen sich nie wirklich mit Machiavellis These als Einwand gegen ihre Überlegungen auseinander. Machiavelli argumentiert: Ein Mensch, der sich in jeder Hinsicht zum Guten bekenne, müsse unter so vielen, die das Schlechte tun, notwendig zugrunde gehen; ein reicher Mann, der ständig großzügig sei, werde bald ein armer Mann sein. Sehr viel besser sei es, so lautet sein schlauer Rat, sich den Anschein der Großzügigkeit zu geben, dabei aber so wenig wie möglich zu verschenken. Mit anderen Worten: Es ist besser, tugendhaft zu erscheinen, als wirklich tugendhaft zu sein: »Jeder sieht, was du
scheinst. Nur wenige fühlen, wie du bist.« Beharrlich erklärt Machiavelli, dass die Menschen, denen es in der Welt am besten geht, ebenjene skrupellosen Zeitgenossen sind, die Tugend nur gelegentlich und als Mittel zum Zweck einsetzen, um einen strategischen Gewinn zu erzielen. 15 Wenn Machiavelli recht hat, dann sind es nach den Regeln der natürlichen Auslese die Moralheuchler und nicht die wirklich moralischen Menschen, die gedeihen und sich vermehren. Und für den empirischen Beweis könnte er ganz gewiss auch heute einige wohlbekannte erfolgreiche Protagonisten dieser Couleur nennen.
Wenn es natürlich eine kosmische Gerechtigkeit im Leben nach dem Tod gibt, dann sind die Schurken am Ende die Verlierer. Wir sehen das an einem schönen Beispiel aus Dantes Inferno, wo wir im Kreis der Betrüger Guido da Montefeltro begegnen. Guidos militärische Fähigkeiten als Ghibellinenführer beruhten überwiegend auf seiner meisterhaften Beherrschung dessen, was er als »des Fuchses würdig« bezeichnete. Mit seinen Gaunereien war er überaus erfolgreich und wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Kurzum, er war ein echter Machiavellist. Später im Leben wurde er Franziskanermönch, nicht weil er seine früheren Missetaten bereute, sondern weil er glaubte, auf diese Weise Gott zu täuschen und doch noch ins Paradies zu gelangen. »Gewisslich hätte sich erfüllt mein Glaube«, erklärt er in der Göttlichen Komödie. Doch anders als leichtgläubige Menschen lässt Gott sich nicht
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