Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
dieser Technologie möglich sein, wenn wir die Proteine erst einmal besser verstehen und mehr Daten über sie haben.
Stellen Sie sich vor, was wir nun mit diesen Informationen anfangen können. Wir können Unterschiede zwischen einzelnen Menschen erkennen, nicht nur die in der Inventarliste, sondern auch die im Geschehen, das sich im Organismus abspielt. Wie ich schon mehrfach gesagt habe, ist die DNA statisch, die Proteine aber sind dynamisch. Ihr Bestand verändert sich im Körper von Minute zu Minute, je nach den im Organismus ablaufenden Vorgängen. Das ist genau das, was wir in meinen Labors am Center for Applied Molecular Medicine der University of Southern California und bei Applied Proteomics versuchen herauszufinden: nämlich wozu die Proteine unseres Körpers da sind und wie sie zusammenwirken, um die Sprache unseres Körpers hervorzubringen, die letztlich den Dialog unserer Gesundheit interpretiert.
Das Ziel ist es, Tests auf verschiedene Krankheiten, die auf Proteinen beruhen, zu entwickeln. Die erste kommerzielle Anwendung der Proteomik wird in der Diagnostik sein, außerdem in der sogenannten Theragnostik, die sich mit der Analyse von Markern zur Vorhersage von Therapieerfolgen befasst. Ein Onkologe wie ich könnte also einen Proteomiktest auf Krebs durchführen, der nach bestimmten Markern im Blut sucht – Proteinen im Blut, die anzeigen, dass etwas nicht stimmt; damit ließen sich Veränderungen in der körperlichen Verfassung ausmachen, die dann behandelt werden können, oder die Reaktion auf ein Medikament oder eine Operation bei einem Patienten im Voraus abschätzen. Dieses Verfahren könnte die heute noch erforderlichen invasiven Verfahren – wie etwa Biopsien – ersetzen. Die Proteomik könnte dem Arzt den Weg zu besseren Therapien weisen und ihm sagen, ob überhaupt invasive Maßnahmen nötig sind.
Proteomische Untersuchungen sind übrigens gar nicht so neuartig, wie Sie vielleicht glauben. Sie werden bereits seit Jahrzehnten eingesetzt, allerdings immer auf ein einzelnes Protein beschränkt. Einer der ersten solchen Tests bestimmte den Spiegel des Hormons HCG (Humanes Choriongonadotropin), das von Schwangeren kurz nach der Befruchtung ausgeschüttet wird. Anfang des 20. Jahrhunderts bestand ein Schwangerschaftstest darin, den Urin der Frau in die Ohrvene eines Kaninchenweibchens zu injizieren. Nach einigen Tagen wurden die Ovarien des Kaninchens von einem Labortechniker untersucht; wenn im injizierten Urin HCG enthalten war, hatten sie sich als Reaktion auf das Hormon verändert und zeigten eine Schwangerschaft an. Der »Kaninchentest« war als Schwangerschaftstest sehr verbreitet, bis Ende 1977 Warner Chilcott den ersten freiverkäuflichen Schwangerschaftstest für den Eigengebrauch anbot, den sogenannten »e.p.t.« (für Early Pregnancy Test, also »Schwangerschaftsfrüherkennung«). Er kostete nur etwa zehn Dollar, und viele Tausend Kaninchen konnten sich freuen.
Aber überlegen wir uns, welche anderen Anwendungen es noch für diese Art Proteinanalyse geben könnte: Stellen Sie sich vor, man könnte ein Proteinmuster im Blut nachweisen, das anzeigt, ob in Ihrem Dickdarm Polypen wachsen, das sind abnorme Gewebewucherungen, die eine Vorstufe von Krebs sein können. Das wäre viel besser, als zu diesem Zweck eine Kolonoskopie durchführen zu müssen. Gegenwärtig wird empfohlen, alle fünf oder zehn Jahre ab einem bestimmten Lebensalter eine solche Darmspiegelung durchführen zu lassen, aber immerhin etwa einer von 1000 Untersuchten trägt durch die Prozedur selbst schwere Schädigungen davon, ganz zu schweigen von der ängstlichen Unsicherheit vorher. Zurzeit kennen wir leider noch keine bessere Methode, um herauszufinden, ob Ihr Dickdarm krebsgefährdet ist. Wäre es nicht viel besser, wenn Sie es einfach durch einen jährlichen Bluttest herausfinden könnten, der viel leichter auszuhalten ist? Eine Koloskopie wäre dann nur noch notwendig, wenn tatsächlich ein Polyp entfernt werden müsste. Das ist nur ein Beispiel für die Möglichkeiten, die uns die Proteomik bietet. Die Kosten im Gesundheitswesen würden sinken, das Risiko von Sekundärschäden durch invasive Untersuchungsmethoden würde sich reduzieren, wenn nicht gar ganz verschwinden.
Der gegenwärtige Stand der Technik erlegt den Ärzten viele Schranken auf. Ob ein Gewebeknoten ein Tumor ist, kann man oft nur durch eine Biopsie, also eine Gewebeentnahme, feststellen. Die Früherkennung von Eierstockkrebs zum Beispiel ist
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