Leben statt kleben
entdecken?
Vor-Urteile über Bord
Jedes unserer Dinge sagt etwas über uns aus. Was erfahren wir, wenn wir uns als Gast in der eigenen Wohnung umschauen? Welche Interessen lassen sich erkennen? Lieblingsfarben? Wenn momentan nicht viel herauszufinden ist, haben wir uns wohl gerade ein bisschen vergraben. Schon vor der Zeit. Das Äußere spiegelt das Innere. Clutter hat Schutzfunktionen, temporäre Mauern werden aus guten Gründen errichtet. Also keinen noch so winzigen Teil kostbarer Energien mit Selbstvorwürfen vergeuden. Diese Umgebung war, was wir bisher brauchten und deshalb genau richtig so. Entrümpeln wir als erstes die Gut/Schlecht-Schablonen und befreien uns selbst durch Nicht-Urteilen. Feiern den Anbruch einer neuen Ära, das Ende des Sich-Verschanzens. Wir haben hinter dem Schutzwall genügend Kraft gesammelt, um uns freizugraben – Licht und Luft und dem Neuen entgegen. Generalamnestie für Stapel, Kisten, Kästen und deren Eigentümer! Und sobald wir uns daran gewöhnt haben, uns selbst nicht mehr ständig zu be- und verurteilen, können wir diese wohltuende Haltung auf andere ausweiten.
Es geht nicht darum, Urteile aus moralisch angesäuerten Gutmensch-Gründen zu unterlassen. Gereckte Zeigefinger sind einfach nur erstklassige Energieverschwendung. Solange wir uns jemandem überlegen wähnen, werden wir uns auch unterlegen fühlen. Ein Urteil sagt mehr über uns, als über andere. Ansichten über korrekte Haar-, Musik- oder Kleidungsstile outen uns als konservativ, alternativ... Am Anfang und am Schluss sind wir alle gleich, letzten Endes bleiben Urteile Vorurteile. Wir sehen jemanden auf der Straße vorbeilaufen und sind ganz sicher, dass diese Person in die Arbeit fährt. Dann entdecken wir eine Tüte und korrigieren uns. „Ah nein, war wohl gerade einkaufen. Oder ist sie doch auf dem Weg zum Bahnhof?“ Wir müssen uns mit äußerlichen Einschätzungen begnügen.
Wohin eine andere Seele unterwegs ist oder warum, werden wir nie wissen. Auf tieferen Ebenen haben wir nie alle ,Fakten‘. Tanzen als Schneeflocken zusammen, auf unserer kurzen Reise durch den Raum. Keine wie die andere. Seelen auf einer Reise, aus unterschiedlichen Richtungen auf dem Weg in die Mitte. Einzigartigkeit liegt jenseits der Beurteilungsskalen – und sie ist das einzige, was wir alle gemeinsam haben.
Warum also Zeit und Lebenskraft in Bewertungsprozesse investieren, die wir bald wieder auf den Kopf stellen? „Die ist aber ganz schön rundlich.“ Die ist aber ganz schön schwanger. Starten wir mit dem Gelassenheitstraining bei der Inneneinrichtung. Es gibt nur ein Kriterium. „Tut mir das gut? Fühle ich mich wohl damit?“ Unterschiedliche Schneeflocken wählen unterschiedlichste Utensilien. Ein Hirschgeweih ruft bei einer Fluchtreflexe hervor, bei der nächsten wohlige Gemütlichkeitsschauder. Geschmäcker sind verschieden, nicht gut oder böse. Da sind wir felsenfest von einer Sache überzeugt – um dann einige Jahre später einen gegensätzlichen Standpunkt zu vertreten.
Ein fernöstliches Gleichnis erzählt von einem Mann und seinem Pferd. Eines Tages lief es ihm weg. Die Nachbarn bedauerten das Unglück. Der Mann sagte, „vielleicht ist es eins, vielleicht auch nicht. Wer weiß?“ Dann kam das Pferd zurück, mit zwei Wildpferden im Schlepptau. Der Mann besaß nun drei Pferde und die Nachbarn freuten sich über das Glück. Der Mann sagte: „Vielleicht ist es eins, vielleicht auch nicht. Wer weiß?“ Dann brach sich sein Sohn beim Einreiten der Wildpferde beide Beine. Die Nachbarn waren entsetzt über das Unglück. „Wer weiß“, sagte der Mann. Militärrekruten kamen ins Dorf und zogen alle jungen Männer zum Kriegsdienst ein. Nur der Verletzte blieb verschont. „So ein Glück!“ riefen die Nachbarn. – Kraft, die in Urteilen feststeckt, fehlt woanders. Machen wir sie wieder zugänglich und werfen die permanent defekte Beurteilungswaage gleich mit dem Altpapier raus.
Unsere Augen sind das Objektiv, unsere Gedanken die Kamera. Das Bild, das wir sehen, die Realität. Es gibt soviele Realitätsentwürfe, wie es Menschen gibt. Wir alle navigieren mit zwei sehr individuellen Landkarten über unseren kleinen blauen Planeten.
Eine verzeichnet, wie wir die Welt sehen, unsere persönliche Version der Wirklichkeit. Die zweite, wie die Welt unserer Meinung nach sein sollte, unsere Wertvorstellungen. Wir filtern alles durch diese Schablonen. Realität ist Interpretation. Ungeahnte Energiereserven erschließen
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