Leben, um davon zu erzählen
gekommen, als ein Mädchen, das im Haushalt aushalf, aufgeregt mit der Nachricht heimgekommen war, sie habe Papa im Telegrafenamt telefonieren sehen. Mehr brauchte eine eifersüchtige Frau nicht zu wissen. Es war das einzige Telefon der Stadt und nur für Ferngespräche, die man im Voraus anmelden musste; die Wartezeiten waren lang und die Minuten derart teuer, dass man nur in äußersten Notfällen telefonierte. Jedes Telefonat, so harmlos es auch sein mochte, alarmierte die Gemeinschaft um die Plaza und sorgte für boshafte Vermutungen. Als Papa also heimkam, belauerte sie ihn, ohne etwas zu sagen, bis er einen Zettel, den er in der Tasche gehabt hatte, zerriss. Ein Gerichtsbescheid. Meine Mutter wartete eine günstige Gelegenheit ab und fragte ihn dann ohne Umschweife, mit wem er telefoniert habe. Die Frage war so verräterisch, dass er auf die Schnelle keine glaubhaftere Antwort als die Wahrheit fand:
»Mit einem Rechtsanwalt.«
»Das weiß ich bereits«, sagte meine Mutter. »Ich möchte aber, dass du es mir selbst erzählst, und zwar mit der Offenheit, die ich verdiene.«
Meine Mutter gestand mir später, ihr habe es daraufhin plötzlich gegraut vor dem womöglich fauligen Inhalt des Topfs, den sie da aufgedeckt hatte, denn wenn Papa wagte, ihr die Wahrheit zu sagen, musste er annehmen, dass sie schon alles wusste. Oder dass ihm nichts anderes übrig blieb, als es ihr zu erzählen.
Das tat er dann. Er habe den Bescheid über eine Anklage erhalten, der zurfolge er in seiner Praxis eine mit einer Morphiumspritze betäubte Kranke missbraucht habe, erzählte Papa. Der Vorfall hatte sich angeblich in einer abgelegenen Gemeinde ereignet, wo er zuweilen mittellose Kranke behandelte. Und sogleich stellte er seine Ehrlichkeit unter Beweis: Das Melodram der Betäubung und Vergewaltigung sei eine kriminelle Erfindung seiner Feinde, doch das Kind sei von ihm und unter normalen Umständen gezeugt.
Es war nicht leicht für meine Mutter, einen Skandal zu vermeiden, da eine gewichtige Persönlichkeit im Hintergrund die Fäden der Verschwörung zog. Es gab die Präzedenzfälle Abelardo und Carmen Rosa, die gelegentlich mit dem liebevollen Einverständnis aller bei uns gewohnt hatten, beide aber waren vor der Hochzeit unserer Eltern geboren. Dieser neue Sohn und die Untreue des Gatten waren eine bittere Pille für meine Mutter, doch sie überwand ihren Groll und kämpfte mit offenem Visier an der
Seite ihres Mannes, bis die Verleumdung von der Vergewaltigung widerlegt war.
Der Friede kehrte wieder in die Familie ein. Kurz darauf kamen jedoch vertrauliche Hinweise aus der gleichen Region über ein kleines Mädchen von einer anderen Mutter, das Papa als Tochter anerkannt hatte und das in erbärmlichen Umständen lebte. Meine Mutter verlor keine Zeit mit Prozessen und Nachforschungen, sondern kämpfte darum, das Kind aufzunehmen. »Mina hat das Gleiche mit all den verstreuten Kindern meines Vaters gemacht, und sie hat es nie bereut«, sagte sie bei dieser Gelegenheit. So erreichte sie auf eigene Faust und ohne großes Aufsehen, dass ihr das Mädchen geschickt wurde, und sie mengte es einfach unter die bereits kinderreiche Familie.
Das alles gehörte bereits der Vergangenheit an, als mein Bruder Jaime auf einem Fest in einem anderen Ort auf einen Jungen traf, der genau wie unser Bruder Gustavo aussah. Es war der Sohn, wegen dem der Prozess geführt worden war, und seine Mutter hatte ihn gut großgezogen und verhätschelt. Doch die unsere unternahm allerlei Schritte und holte ihn zu uns ins Haus - wo schon elf Kinder waren - und unterstützte ihn dabei, ein Handwerk zu erlernen und seinen Weg im Leben zu finden. Ich konnte meine Verwunderung darüber nicht verhehlen, dass eine Frau von halluzinierender Eifersucht zu solchen Handlungen fähig war, und sie selbst antwortete mir mit einem Satz, den ich wie einen Diamanten aufbewahre:
»Ich dulde nicht, dass das Blut meiner Kinder sich irgendwo herumtreibt.«
Meine Geschwister sah ich nur einmal im Jahr in den Ferien. Bei jedem Besuch wurde es für mich schwieriger, sie wiederzuerkennen und ein neues Kind im Gedächtnis zu behalten. Außer dem Taufnamen hatten wir alle noch einen anderen, den die Familie uns einfachheitshalber gab, und das war kein Diminutiv, sondern ein zufälliger Spitzname. Mich haben sie schon bei der Geburt Gabito - ein unregelmäßiger Diminutiv von Gabriel -genannt, und mir war immer so, als sei das mein Vorname und Gabriel die Verkleinerung. Einmal
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