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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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fragte uns jemand, der über diesen willkürlichen Heiligenkalender überrascht war, warum die
    Eltern nicht vorgezogen hätten, all ihre Kinder gleich auf den Spitznamen zu taufen.
    Die Großzügigkeit meiner Mutter in manchen Dingen stand im Gegensatz zu ihrer Haltung den zwei älteren Schwestern gegenüber. Mit Margot und Aida war sie ebenso streng wie ihre Mutter es wegen der hartnäckigen Liebe zu meinem Vater mit ihr selbst gewesen war. Sie wollte sogar an einen anderen Ort ziehen. Papa dagegen, dem man so etwas nicht zweimal sagen musste, damit er die Koffer packte und durch die Welt zog, zeigte sich diesmal unzugänglich. Es vergingen mehrere Tage, bis ich erfuhr, dass das Problem die Liebesbeziehung der zwei älteren Töchter zu zwei unterschiedlichen Männern war, die jedoch denselben Namen hatten: Rafael. Als die Eltern mir davon erzählten, musste ich das Lachen unterdrücken, dachte ich doch an den Schauerroman, den Papa und Mama durchlebt hatten, und ich sagte das meiner Mutter.
    »Das ist nicht dasselbe«, meinte sie.
    »Das ist dasselbe«, insistierte ich.
    »Na gut«, räumte sie ein, »es ist das Gleiche, aber gleich zweimal zur gleichen Zeit.«
    So wie einst bei ihr zählten auch jetzt weder Gründe noch Absichten. Es wurde nie bekannt, wie die Eltern davon erfahren hatten, weil beide Schwestern unabhängig voneinander Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hatten, um nicht entdeckt zu werden. Doch plötzlich tauchten Zeugen auf, an die man nicht gedacht hatte, weil sich die Mädchen manchmal von ihren jüngeren Geschwistern hatten begleiten lassen, damit diese ihre Unschuld bezeugen konnten. Überraschend war, dass auch Papa bei dieser Hatz mitmachte, nicht direkt, aber durch eben den passiven Widerstand, den mein Großvater Nicolás seiner Tochter entgegengesetzt hatte.
    »Wenn wir auf einen Ball gingen, tauchte mein Vater dort auf und schickte uns wieder heim, wenn er entdeckte, dass die beiden Rafaels auch da waren«, hat Aida Rosa in einem Zeitungsinterview erzählt. Man erlaubte ihnen keinen Ausflug aufs Land und keinen Kinobesuch oder schickte jemanden mit, der sie nicht aus den Augen ließ. Jede für sich dachte sich sinnlose Vorwände aus, um Rendezvous einhalten zu können, doch schon tauchte ein unsichtbarer Geist auf, der sie verpetzte. Ligia, die jünger war, erwarb sich den schlechten Ruf einer Spionin und Verräterin, doch sie entschuldigte sich mit dem Argument, dass die Eifersucht unter Geschwistern eine andere Form der Liebe sei.
    In jenen Ferien versuchte ich, auf meine Eltern einzuwirken, damit sie nicht die Fehler wiederholten, die meine Großeltern bei meiner Mutter gemacht hatten, doch sie fanden immer seltsame Gründe, mich nicht verstehen zu müssen. Am meisten wurden die Schmähschriften gefürchtet, die schreckliche Geheimnisse -tatsächliche oder erfundene - aufdeckten. Da wurden verborgene Vaterschaften, beschämende Ehebrüche, sexuelle Abartigkeiten enthüllt, die irgendwie allgemein bekannt waren, wenn auch über kompliziertere Wege als Schmähschriften. Aber es tauchte nie eine Schrift auf, die etwas denunzierte, das man, so geheim es auch gehalten wurde, nicht irgendwie wusste oder das früher oder später geschehen musste. »Die Schmähschriften macht man selbst«, sagte eines der Opfer.
    Was meine Eltern nicht vorausgesehen hatten, war, dass die Töchter sich mit eben den Mitteln wehren würden, die sie selbst benutzt hatten. Margot schickten sie auf die Schule nach Montería, und Aida ging auf eigenen Entschluss nach Santa Marta. Sie waren im Internat, und an den freien Tagen war für jemanden gesorgt, der sie begleiten sollte, doch die Mädchen bekamen es immer irgendwie hin, mit den fernen Rafaels in Verbindung zu bleiben. Dennoch hat meine Mutter das geschafft, was ihre Eltern bei ihr nicht geschafft hatten. Aida hat ihr halbes Leben in einem Kloster verbracht und lebte dort ohne Wonne oder Leid, bis sie sich vor den Männern sicher fühlte. Margot und ich sind immer durch die Erinnerungen an unsere gemeinsame Kindheit verbunden geblieben, als ich die Erwachsenen im Auge behalten musste, damit Margot nicht dabei ertappt wurde, wie sie Erde aß. Schließlich wurde sie zu einer Mutter für alle, insbesondere für meinen Bruder Alfredo - Cuqui -, der sie am meisten brauchte und den sie bis zu seinem letzten Atemzug bei sich hatte.
    Erst jetzt fällt mir auf, wie sehr die schlechte Gemütsverfassung meiner Mutter und die Spannungen zu Hause den tödlichen Widersprüchen

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