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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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weil sie dem Volksaberglauben anhing, dass weder ihr Mann noch ihre Söhne es wagen würden, sich in der Benommenheit des Verdauens der Liebe hinzugeben. Als sie schließlich eines Abends keinen Vorwand mehr hatte, mich zurückzuhalten, setzte sie sich vor mich hm und sagte:
    »Man sagt, du hättest dich mit der Frau eines Polizisten eingelassen und dass er geschworen hat, dir eine Kugel zu verpassen.«
    Es gelang mir, sie davon zu überzeugen, dass das nicht stimmte, doch das Gerücht hielt sich. Die Wahrheit war, dass Nigromanta mir damals Nachrichten schickte, sie sei allein, ihr Mann sei auf Dienstreise, sie habe ihn seit langem aus den Augen verloren. In Wirklichkeit aber tauchte er an ungeahnten Orten auf. Ich tat immer mein Möglichstes, ihm nicht zu begegnen, er aber war stets darauf aus, mich aus der Ferne zu begrüßen, mit einem Zeichen, das ebenso Versöhnung wie Drohung bedeuten konnte. In den Ferien des darauf folgenden Schuljahrs sah ich ihn zjm letzten Mal bei einer Fandangonacht, in der er mir ein Glas einfachen Rum anbot, das ich nicht zurückzuweisen wagte.
    Ich weiß nicht, durch welch illusionistischen Trick die Lehrer und Mitschüler, die mich immer für einen eher schüchternen Schüler gehalten hatten, mich im fünften Schuljahr als poète maudit zu sehen begannen, als Erben der lockeren Atmosphäre, die in der Zeit von Carlos Martín geherrscht hatte. War vielleicht der Wunsch, diesem Bild zu entsprechen, der Grund dafür, fünfzehnjährig an der Schule mit dem Rauchen zu beginnen? Der erste Versuch endete fürchterlich. Ich lag die halbe Nacht sterbenselend auf dem Badezimmerboden in meiner Kotze und begann völlig erschöpft den Tag, doch der Tabakkater weckte keinen Widerwillen in mir, sondern vielmehr die unwiderstehliche Lust weiterzurauchen. So begann mein Leben als eingefleischter Raucher, und es nahm so extreme Formen an, dass ich eine Zigarette an der anderen anzündete und keinen Satz denken konnte, wenn der Mund nicht voll Rauch war. Bei einem Interview habe ich einmal gesagt, ich würde lieber sterben als aufhören zu rauchen, und es kam mir aus der Seele. Im Liceo war Rauchen nur in den Pausen erlaubt, doch ich bat zwei-, dreimal in der Stunde, zum Abort gehen zu dürfen, nur um das Verlangen nach einer Zigarette zu stillen. So brachte ich es auf drei Päckchen a 20 Zigaretten pro Tag, und es konnten auch vier werden, wenn es nachts hoch herging. Als ich bereits die Schule beendet hatte, gab es eine Zeit, in der mich mein ausgetrockneter Hals und die schmerzenden Knochen fast verrückt machten. Ich beschloss, mit dem Rauchen aufzuhören, hielt es aber nicht länger als zwei Tage durch, so groß war das Verlangen.
    Vielleicht war das Bild, das man sich von mir machte, auch dafür verantwortlich, dass ich eine lockere Hand für die Prosa bei den immer kühneren Aufgaben bekam, die mir Lehrer Calderon stellte, auch dank der literaturtheoretischen Bücher, die zu lesen er mich fast zwang. Wenn ich heute mein Leben Revue passieren lasse, erinnere ich mich, dass ich trotz der vielen Bücher, die ich seit meiner ersten staunenden Lektüre von Tausendundeine Nacht gelesen hatte, vom Erzählen eine reichlich naive Vorstellung hatte. Ich war so kühn zu glauben, dass die Wunder, von denen Scheherezade erzählt, zu ihrer Zeit wirklich im Alltag geschehen sind und nur wegen der Ungläubigkeit und des feigen Realismus der nachfolgenden Generationen nicht mehr geschehen. Aus eben dem Grund schien es mir unmöglich, dass jemand aus unserer Zeit wieder glauben könnte, dass man an Bord eines Teppichs über Städte und Berge fliegt oder dass ein Sklave aus Cartagena de Indias als Strafe zweihundert Jahre in einer Flasche verbringt, es sei denn, dem Autor der Geschichte gelänge es, dies seinen Lesern glaubhaft zu machen.
    Mich langweilte der Unterricht, abgesehen von den Literaturstunden, in denen ich Texte auswendig lernte und eine besondere Rolle spielte. Das Pauken langweilte mich, und ich überließ alles dem Glück. Ich hatte einen eigenen Instinkt für die heiklen Punkte jedes Faches und erriet mehr oder weniger, was die Lehrer am meisten interessierte, um dann den Rest nicht zu lernen. In Wirklichkeit verstand ich nicht, warum ich Zeit und Geist auf Fächer verschwenden sollte, die mich nicht bewegten und mir deshalb in einem Leben, das nicht das meine war, überhaupt nicht nützen würden.
    Ich war so verwegen zu denken, dass die meisten Lehrer mich eher nach meiner persönlichen Art als

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