Leben, um davon zu erzählen
im Land, die nicht ausgelebt wurden, aber dennoch existent waren, entsprachen. Präsident Lleras sollte im neuen Jahr Wahlen ausrufen, und die Zukunft sah trübe aus. Die
Konservativen, denen es gelungen war, López Pumarejo zu stürzen, spielten mit seinem Nachfolger ein doppeltes Spiel: Sie schmeichelten ihm wegen seiner mathematisch genauen Unparteilichkeit, schürten jedoch die Zwietracht in der Provinz, in der Hoffnung, die Macht zurückzuerobern - durch Vernunft oder Gewalt.
Sucre war der violencia gegenüber immun geblieben, und die wenigen bekannt gewordenen Fälle hatten nichts mit Politik zu tun. Da war einmal der Mord an Joaquín Vega, einem gefragten Musiker, der in der Kapelle des Orts die Basstuba spielte. Es war bei einem Auftritt um sieben Uhr abends vor dem Kinoeingang, als ein feindseliger Verwandter dem kraftvoll Musizierenden einen einzigen Schnitt in die geblähte Kehle verpasste und Vega dann am Boden verblutete. Täter und Opfer waren im Ort sehr beliebt und die einzige und unbestätigte Erklärung für den Vorfall war beleidigte Ehre. Zur selben Stunde wurde gerade der Geburtstag meiner Schwester Rita gefeiert, und die böse Nachricht zerstörte das Fest, das viele Stunden dauern sollte.
Ein anderer, weit zurückliegender, aber unauslöschlich im Gedächtnis der Stadt eingegrabener Fall war das Duell zwischen Plinio Balmaceda und Dionisiano Barrios. Ersterer kam aus einer alten und angesehenen Familie und war selbst ein riesiger, hinreißender Mann, zugleich aber streitsüchtig und ungenießbar, wenn Alkohol im Spiel war. War er bei klarem Verstand, zeichneten ihn die Haltung und der Geist eines Caballeros aus, wenn er aber über den Durst getrunken hatte, verwandelte er sich in einen Raufbold mit locker sitzendem Revolver und einer Reitpeitsche im Gürtel, mit der er diejenigen, die ihm missfielen, züchtigte. Die Polizei versuchte ihn dann von allen fern zu halten. Und in seiner guten Familie wurde man es müde, ihn jedes Mal, wenn er zu viel getrunken hatte, heimzuschleifen, und überließ ihn seinem Schicksal.
Dionisiano Barrios war das ganze Gegenteil: schüchtern und mickrig, war er jedem Streit abgeneigt und von Geburt an abstinent. Er hatte noch nie mit jemandem Schwierigkeiten gehabt, bis Plinio Balmaceda ihn zu provozieren begann, indem er sich auf gemeine Weise über seine Mickrigkeit lustig machte. Dionisiano versuchte, ihm auszuweichen, bis zu dem Tage, als er Balmaceda begegnete und dieser ihm die Peitsche übers Gesicht zog, weil ihm gerade so zu Mute war. Woraufhin Dionisio seine Schüchternheit, seinen Buckel und sein Pech vergaß und den Beleidiger auf eine saubere Kugel forderte. Das Duell fand sofort statt, beide wurden schwer verwundet, doch nur Dionisiano starb.
Bei dem historischen Duell von Sucre starben dann aber fast gleichzeitig eben dieser Plinio Balmaceda und Tasio Ananías, ein Polizeisergeant, der für seine propre Erscheinung berühmt und ein vorbildlicher Sohn von Mauricia Ananías war, zudem die Trommel in derselben Kapelle rührte, in der Joaquín Vega die Basstuba gespielt hatte. Es war ein förmliches Duell, das mitten auf der Straße ausgetragen wurde, bei dem beide schwer verletzt wurden und dann jeweils daheim einen langen Todeskampf ausfochten. Plinio war schnell wieder bei Bewusstsein und seine erste Sorge war, wie es Ananías ging. Dieser war seinerseits erschüttert über die Besorgnis, mit der Plinio um sein Leben betete. Beide flehten dann Gott an, den anderen nicht sterben zu lassen, und ihre Familien hielten sie auf dem Laufenden, solange ihr Herz schlug. Der ganze Ort lebte in Spannung, und es gab vielerlei Bemühungen, beider Leben zu verlängern.
Nach achtundvierzig Stunden Agonie schlugen in der Kirche die Totenglocken für eine Frau, die gerade verstorben war. Die beiden Sterbenden hörten es, und jeder dachte in seinem Bett, dass die Glocken für den Kontrahenten schlügen. Ananías beweinte Plinios Tod und starb fast augenblicklich. Plinio erfuhr davon und starb zwei Tage später, in Tränen aufgelöst über den Sergeanten Ananías.
In einer Ortschaft friedlicher Freunde wie Sucre äußerte sich die violencia weniger tödlich, aber nicht minder schädlich: durch besagte Schmähschriften. Die Angst war in die Häuser der vornehmen Familien eingezogen, die auf den nächsten Morgen wie auf eine Schicksalslotterie warteten. Dort, wo man am wenigsten damit rechnete, tauchte ein Strafzettelchen auf, das Erleichterung brachte, wenn es
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