Leben, um davon zu erzählen
waren so gegensätzlich, dass sie zwei verschiedenen Parteien anzugehören schienen, nicht nur wegen der eigenen Sünden, sondern wegen der blutigen Entschlossenheit der Konservativen, die das von Anfang an erkannten. Statt Laureano Gómez stellten sie Mario Ospina Pérez auf, einen Ingenieur und Millionär mit dem wohlverdienten Ruf eines Patriarchen. Angesichts des gespaltenen Liberalismus und der Geschlossenheit der bewaffneten Konservativen gab es keine Alternative: Ospina Pérez siegte.
Laureano Gómez bereitete sich sogleich auf die Nachfolge vor, setzte Polizei und Streitkräfte für die violencia auf breiter Front ein. Das war die historische Situation des 19. Jahrhunderts, in dem wir keinen Frieden kannten, sondern nur kurze Waffenpausen zwischen acht landesweiten Bürgerkriegen und vierzehn lokalen, drei Militärputschen und schließlich dem Krieg der Tausend Tage, in dem auf beiden Seiten insgesamt achtzigtausend Kolumbianer starben, in einem Land von knapp vier Millionen Einwohnern. Auf eine einfache Formel gebracht: Ein gemeinsames Programm, um sich in die Zeit von vor hundert Jahren zurückzuversetzen.
Gegen Ende des Schuljahres machte der Lehrer Giraldo eine unzulässige Ausnahme mit mir, die mir immer noch peinlich ist. Er bereitete für mich einen einfachen Fragebogen vor, um meine Note im Fach Algebra, an dem ich seit dem vierten Jahr gescheitert war, auf den Stand des sechsten Schuljahrs zu bringen, und ließ mich allein im Lehrerzimmer, alle unerlaubten Hilfsmittel in Reichweite. Eine Stunde später kam er hoffnungsvoll zurück, sah das katastrophale Ergebnis, knurrte gefährlich und strich kreuzweise jedes einzelne Blatt von oben bis unten durch: »Dieses Hirn ist verfault.« Im Abschlusszeugnis tauchte Algebra jedoch als bestanden auf. Ich war so taktvoll, dem Lehrer nicht dafür zu danken, dass er mir zuliebe gegen seine Prinzipien und seine Pflichten verstoßen hatte.
Am Vortag des letzten Examens hatten Guillermo López Guerra und ich einen unseligen Zusammenstoß mit Ocampo, einen Streit im Rausch. José Palencia hatte uns zum Lernen ins Zimmer seines Hotels eingeladen, ein koloniales Schmuckstück, mit einem idyllischen Blick auf den blühenden Park und die Kathedrale im Hintergrund. Da nur noch die letzte Prüfung fehlte, blieben wir bis nachts und kehrten durch unsere ärmlichen Kneipen ins Internat zurück. Ocampo, für die Disziplin zuständig, tadelte streng die Uhrzeit und unseren Zustand, worauf wir zwei ihn im Chor mit Schmähungen bedachten. Seine zornige Reaktion und unser Geschrei weckten den ganzen Schlafsaal auf.
Der Beschluss des Lehrerkollegiums lautete, dass López Guerra und ich nicht zur letzten, noch ausstehenden Prüfung zugelassen waren. Das heißt: Wir hätten - zumindest in diesem Jahr - kein Abitur gemacht. Wir haben nie herausbekommen, wie die geheimen Verhandlungen zwischen den Lehrern verlaufen sind, weil sie in unüberwindlicher Solidarität die Reihen schlössen. Tatsache ist, dass sich Espitia auf eigene Faust und Risiko der Frage annahm und erreichte, dass wir die Prüfung im Erziehungsministerium in Bogotá ablegen konnten. Er selbst blieb während des schriftlichen Examens bei uns, das dann gleich dort benotet wurde, und zwar sehr gut.
Die Situation an der Schule muss kompliziert gewesen sein, jedenfalls nahm Ocampo an der Abschlussfeier nicht teil, vielleicht war er verärgert über die einfache Lösung, die Espitia gefunden hatte, über unsere guten Noten und nicht zuletzt über meine persönlichen Ergebnisse, für die ich mit einem unvergesslichen Buch als Preis belohnt wurde; Die größten Philosophen von Diogenes Laercio. Das war nicht nur viel mehr, als meine Eltern von mir erwartet hatten, sondern ich war auch der Erste des Abiturjahrgangs, obwohl meine Klassenkameraden wussten, vor allem ich wusste, dass ich nicht der Beste war.
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Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen , dass neun Monate nach dem Abitur meine erste Erzählung in »Fin de Semana« erscheinen könnte. Das war die Literaturbeilage von El Espectador und zu jener Zeit die interessanteste und anspruchsvollste im Land. Zweiundvierzig Tage später wurde die zweite Erzählung veröffentlicht. Noch mehr überraschte mich allerdings der lobende Begleittext von Eduardo Zalamea Borda, der als Ulises firmierte, zweiter Direktor der Zeitung sowie chef der Literaturbeilage war. Er galt damals als scharfsinnigster kolumbianischer Kritiker mit einem besonderen Gespür für neue Talente.
Das
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