Leben, um davon zu erzählen
Einführung in die Rechtswissenschaft kam er mit irritierender Pünktlichkeit und prächtigen, in London geschneiderten Kaschmir-jackets. Er hielt seine Vorlesung, ohne dabei jemanden anzusehen, und hatte dieses überirdische Etwas der intelligenten Kurzsichtigen, die immer durch fremde Träume zu wandeln scheinen. Seine Vorlesungen waren für mich monotone Monologe, wie alle Vorlesungen, in denen es nicht um Poesie ging, doch die Langeweile in seiner Stimme hatte die hypnotische Kraft eines Schlangenbeschwörers. Die Rechtswissenschaft war ein solides Fundament für seine breite literarische Bildung, die er schriftlich und mündlich zu nützen wusste, was ich jedoch erst schätzen lernte, als wir uns Jahre später wieder begegneten und uns fernab von einschläfernden Vorlesungen anfreundeten. Sein Prestige als eingefleischter Politiker nährte sich von seinem fast magischen persönlichen Charme und einer gefährlichen Hellsicht, mit der er die Hintergedanken anderer erkannte. Besonders derjenigen, die er nicht recht mochte. Seine herausragendste Tugend als Mann des öffentlichen Lebens war jedoch seine erstaunliche Fähigkeit, mit einem einzigen Satz eine historische Situation zu schaffen.
Im Laufe der Jahre gelang uns eine gute Freundschaft, an der Universität aber war ich nicht durch Eifer und Fleiß aufgefallen, und meine unüberwindliche Schüchternheit hatte eine abgrundtiefe Distanz geschaffen, gerade zu den Menschen, die ich bewunderte. Deshalb war ich sehr überrascht, als López Michelsen mich trotz meiner vielen Abwesenheiten, mit denen ich mir den Ruf eines unsichtbaren Studenten verdient hatte, zur Abschlussprüfung des ersten Jahres zuließ. Ich griff auf meinen alten Trick zurück, mit rhetorischen Mitteln dem Thema auszuweichen, merkte aber, dass der Lehrer meine List durchschaute, sie aber vielleicht als literarische Verschnaufpause zu schätzen wusste. Der einzige Stolperstein tauchte auf, als es in der Prüfung um Gewohnheitsrechte und Verjährung ging und ich in meiner Agonie den Begriff prescripción verwendete, worauf er eine Definition von mir forderte, um sicherzugehen, dass ich wusste, wovon ich sprach.
»Prescribir bedeutet, einen Besitz durch das Vergehen der Zeit zu erwerben«, sagte ich.
Er fragte sofort:
»Erwerben oder verlieren?«
Das war das Gleiche, aber meine angeborene Unsicherheit ließ mich nicht widersprechen. Es muss sich wohl um einen seiner berühmten Scherze zum Nachtisch gehandelt haben, weil er mein Zögern bei der Benotung nicht wertete. Viele Jahre später erwähnte ich den Vorfall, und er konnte sich natürlich nicht daran erinnern, doch zu diesem Zeitpunkt waren wir uns schon beide nicht mehr sicher, ob eine solche Episode je stattgefunden hatte.
Beide fanden wir in der Literatur ein ruhiges Gewässer, in dem wir die Politik und die Geheimnisse der Verjährung vergessen konnten. Stattdessen machten wir einander auf staunenswerte Bücher und vergessene Autoren in endlosen Gesprächen aufmerksam, die Gästerunden sprengten und unsere Frauen verzweifeln ließen. Meine Mutter hatte mir eingeredet, dass wir mit ihm verwandt seien, und das stimmte tatsächlich. Mehr als jeder entfernte Verwandtschaftsgrad verband uns jedoch die gemeinsame Leidenschaft für die Cantos Vallenatos.
Eine ferne verwandtschaftliche Beziehung bestand väterlicherseits auch zu dem Professor für politische Ökonomie Carlos H.
Pareja, dem Besitzer der Librería Grancolombia, die bei den Studenten besonders beliebt war, weil dort die gute Sitte herrschte, Neuerscheinungen berühmter Autoren offen und unbewacht auf Tischen auszulegen. Sogar Parejas eigene Studenten drangen in den unübersichtlichen Abendstunden in den Laden ein und ließen mit künstlerischer Fingerfertigkeit Bücher mitgehen, getreu dem Schülerkodex, dass Bücherklau zwar ein Vergehen, aber keine Sünde ist. Nicht aus Tugend, sondern aus rein physischer Angst beschränkte sich meine Rolle bei solchen Überfällen darauf, den Geschickteren Rückendeckung zu gewähren, unter der Bedingung, dass sie nicht nur den eigenen Bedarf deckten, sondern auch das eine oder andere von mir ausgesuchte Buch mitnahmen. Eines Abends, als einer meiner Gefährten gerade La ciudad sin Laura - Die Stadt ohne Laura - von Francisco Luis Bernárdez geklaut hatte, spürte ich eine wilde Pranke auf meiner Schulter und hörte eine Feldwebelstimme:
»Endlich erwischt!«
Ich drehte mich entsetzt um und stand vor Professor Carlos H. Pareja, während
Weitere Kostenlose Bücher