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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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die Situation, die sich schon zu einem ernsthaften Zwischenfall zuspitzte, mit exquisitem Takt und Sinn für Humor auffing.
    Elvíra schrieb nicht wie vorgesehen das Gespräch mit den Antworten der Diva nieder, sondern stattdessen eine Reportage über die Schwierigkeiten mit ihr. Sie nutzte den Glücksfall, dass der Ehemann eingegriffen hatte, dazu, aus ihm die Hauptperson zu machen. Berta Singerman bekam einen ihrer historischen Wutanfälle, als sie das Interview las. Sábado, bereits die meistgelesene Zeitschrift, konnte das nicht schaden, und als sie dann wöchentlich erschien, stieg ihre Verbreitung auf hunderttausend Exemplare in einer Stadt von sechshunderttausend Einwohnern.
    Die Kaltblütigkeit und der Witz, mit denen Elvíra Mendoza die Torheit Berta Singermans dazu genutzt hatte, deren wahres Wesen zu enthüllen, ließ mich zum ersten Mal über die Möglichkeiten der Reportage nachdenken, nicht als beliebtes Informationsmedium, sondern als viel mehr: als literarische Gattung. Es sollten nur wenige Jahre vergehen, bis ich mich selbst daran erprobte und schließlich zu der Überzeugung gelangte, der ich heute mehr denn je anhänge, dass Roman und Reportage Kinder ein und derselben Mutter sind.
    Vor Bogotá hatte ich mich nur an Lyrik gewagt: satirische Verse in der Schülerzeitschrift des Colegio San José, lyrische Prosa und Sonette an imaginäre Lieben nach der Manier von Piedra y Cielo in der einzigen Nummer der Gaceta Literaria am Liceo. Kurz zuvor hatte Cecilia González, meine Vertraute aus Zipaquira, den Dichter und Essayisten Daniel Arango dazu überredet, eines meiner Lieder in der verstecktesten Ecke der Sonntagsbeilage von El Tiempo zu drucken - unter Pseudonym und in Sieben-PunktSchrift. Die Veröffentlichung hat mich nicht beeindruckt und mir auch nicht das Gefühl gegeben, mehr Dichter zu sein, als ich war. Durch Elvíras Reportage aber entdeckte ich den Journalisten, der in meinem Herzen schlummerte, und bekam Mut, ihn zu wecken. Ich begann, Zeitungen auf eine andere Art zu lesen. Camilo Torres und Luis Villar Borda, die mit mir einer Meinung waren, erneuerten das Angebot von Don Juan Lozano, in La Razón zu veröffentlichen, aber ich wagte nur, zwei formalistische Gedichte beizusteuern, die ich nie als eigene angesehen habe. Sie schlugen mir vor, mit Plmio Apuleyo Mendoza über Möglichkeiten bei der Zeitschrift Sábado zu sprechen, doch mein Schutzengel Schüchternheit ließ mich wissen, dass mir noch einiges fehlte, um mich im Dunklen an ein neues Handwerk zu wagen. Dennoch hatte meine Entdeckung unmittelbar nützliche Folgen, da mich in jener Zeit gerade das schlechte Gewissen plagte, dass ich mit allem, was ich schrieb, egal ob Prosa oder Lyrik, sogar bei den Aufgaben im Liceo, auf dreiste Weise Piedra y Cielo imitiert hatte, so dass ich mir vornahm, mit meiner nächsten Erzählung grundlegend neu anzusetzen. Die Schreibpraxis hat mich davon überzeugt, dass die im Spanischen auf -mente endenden Adverbien eine schlechte Angewohnheit und ein Armutszeugnis sind. Also begann ich sie zu tilgen, wo immer sie mir begegneten, eine Obsession, die, wie ich glaube, dazu zwingt, reichere und ausdrucksstärkere Formen zu finden. Schon seit langem gibt es in meinen Büchern kein einziges dieser Adverbien mehr, es sei denn in Zitaten. Ich weiß natürlich nicht, ob meine Übersetzer diese stilistische Paranoia erkannt und sie sich von Berufs wegen zu Eigen gemacht haben.
    Die Freundschaft mit Camilo Torres und Villar Borda ging schon bald über die Grenzen der Vorlesungssäle und der Redaktion hinaus, und wir verbrachten mehr Zeit zusammen auf der Straße als in der Universität. Die beiden übten harsche Kritik an der politischen und sozialen Lage und köchelten in ihrer Wut. Eingetaucht in die Mysterien der Literatur, machte ich nicht einmal den Versuch, ihre zirkelschlüssigen Analysen und ihre düsteren Vorhersagen zu begreifen, dennoch gehören die Spuren ihrer Freundschaft zu dem Angenehmsten und Nützlichsten aus jener Zeit.
    Bei den Vorlesungen in der Universität war ich jedoch gestrandet. Ich habe immer meinen mangelnden Respekt vor den Meriten der großen Lehrer bedauert, die unseren Widerwillen ertragen mussten. Zu ihnen gehörte Alfonso López Michelsen, Sohn des einzigen kolumbianischen Präsidenten des 20. Jahrhunderts, der wiedergewählt wurde. Daher kam, glaube ich, das allgemeine Empfinden, dass auch er von Geburt her zum Präsidenten bestimmt war, was er dann auch wurde. Zu seiner

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