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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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erste Mal, dass meine Mutter ihn sah. Er aber hatte sie bereits am Sonntag zuvor bei der Acht-Uhr-Messe gesehen, bewacht von Tante Francisca Simodosea Mejía, die als Luisa Santiagas Anstandsdame auftrat, seitdem diese vom Internat heimgekehrt war. Am Dienstag darauf hatte er die beiden noch einmal gesehen, als sie unter den Mandelbäumen vor dem Hauseingang nähten, also wusste er am Abend der Totenfeier bereits, dass sie die Tochter von Oberst Nicolás Márquez war, für den man ihm mehrere Empfehlungsschreiben mitgegeben hatte. Auch sie wusste von da an, dass er Junggeselle und leicht entflammbar war und dass der Erfolg ihm unmittelbar zuwuchs dank seiner unerschöpflichen Beredsamkeit, seiner Leichtigkeit beim Verseschmieden, der Anmut, mit der er die Modetänze beherrschte, und der absichtsvollen Sentimentalität seines Geigenspiels. Meine Mutter erzählte mir, dass man unweigerlich die Lust zu weinen verspürte, wenn man ihn spät in der Nacht spielen hörte. Er empfahl sich der Gesellschaft mit Cuando el baile se acabo, einem Walzer von verzehrender Gefühligkeit, der in sein Repertoire gehörte und bald unverzichtbar für jede Serenade wurde. Diese Passierscheine des Herzens sowie sein persönlicher Charme öffneten ihm die Tür des Hauses und verschafften ihm häufig einen Platz am Familientisch. Tante Francisca, die aus Carmen de Bolívar stammte, adoptierte ihn vorbehaltlos, als sie erfuhr, dass er in Sincé, einem Nachbarstädtchen, geboren war. Luisa Santiaga hatte bei Geselligkeiten ihren Spaß an seinen Verführungskünsten, aber es kam ihr nie in den Sinn, dass er etwas mehr von ihr wollte. Im Gegenteil: Ihre gute Beziehung beruhte vor allem darauf, dass sie ihm als Alibi bei seiner heimlichen Liebe zu einer Schulkameradin diente und ihm versprochen hatte, Trauzeugin zu werden. Seitdem nannte er sie Patin und sie ihn Patensohn. Bei diesem Umgangston kann man sich leicht Luisa Santiagas Überraschung vorstellen, als in einer Ballnacht der kühne Telegrafist die Blume aus dem Knopfloch seines Revers zog und sagte: »Mit dieser Rose überantworte ich Ihnen mein Leben.« Das sei keine plötzliche Eingebung gewesen, hat er mir gegenüber oft beteuert, er sei vielmehr, nachdem er alle Mädchen kennen gelernt hatte, zu dem Schluss gekommen, dass Luisa Santiaga wie geschaffen für ihn war. Sie deutete das Ganze als einen weiteren der galanten Scherze, die er auch mit ihren Freundinnen machte, so dass sie, als sie heimging, die Rose sogar irgendwo vergaß, was er bemerkte. Sie hatte bislang erst einen heimlichen Verehrer gehabt, einen glücklosen Dichter und guten Freund, dem es mit seinen glühenden Versen nie gelungen war, ihr Herz zu erreichen. Die Rose von Gabriel Eligio störte jedoch mit unerklärlicher Macht ihren Schlaf. Bei unserem ersten richtigen Gespräch über die Geschichte ihrer Liebe gestand sie, die damals bereits so viele Kinder hatte: »Ich konnte nicht schlafen vor Wut, weil ich an ihn denken musste, aber noch wütender machte mich, dass ich in meiner Wut immer mehr an ihn dachte.« Die restliche Woche über konnte sie kaum die Angst ertragen, ihn womöglich zu sehen, noch die Qual, ihn nicht sehen zu können. Nichts mehr von Patin und Patensohn, jetzt verhielten sie sich wie Unbekannte. An einem jener Nachmittage, als sie wieder unter den Mandelbäumen nähten, stichelte Tante Francisca mit indianischem Hintersinn:
    »Ich habe gehört, dass du eine Rose geschenkt bekommen hast.«
    Wie es so üblich ist, sollte Luisa Santiaga als Letzte erfahren, dass die Stürme ihres Herzens schon allgemein bekannt waren. In den zahlreichen einzeln oder gemeinsam geführten Gesprächen mit ihr und meinem Vater stimmten sie darin überein, dass es für diese überwältigende Liebe drei Schlüsselsituationen gegeben hatte. Die erste war an einem Palmsonntag beim Hochamt. Luisa Santiaga saß mit Tante Francisca in einer Bank auf der Seite der Kanzel, als sie die Schritte seiner Flamencoabsätze auf dem Ziegelboden erkannte und er so nah vorbeikam, dass sie den lauen Hauch seines Duftwassers wahrnahm. Tante Francisca schien ihn nicht gesehen zu haben, und auch er schien die beiden Frauen nicht gesehen zu haben. In Wahrheit aber war alles von ihm genau eingefädelt, denn er war ihnen gefolgt, als er sie beim Telegrafenamt hatte vorbeigehen sehen. Er blieb nun an der Säule stehen, die dem Eingang am nächsten war, so dass er sie von hinten sehen konnte, sie ihn aber nicht. Nach einigen angespannten Minuten

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