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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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und der Keuschheit aus der Klausur ihres Klosters geflohen war. Bei einem unserer Trinkgelage offenbarte mir der Freund, dass er auf eigenes Risiko gemeinsam mit seiner Frau einen meisterhaften Plan ausgeheckt habe, um Mercedes Barcha aus dem Internat zu entführen. Ein mit ihnen befreundeter Gemeindepfarrer, der als Ehestifter bekannt war, stehe jederzeit bereit, uns zu trauen. Die einzige Bedingung sei natürlich, dass Mercedes sich einverstanden erkläre. Wir aber fanden keinen Weg, das mit ihr innerhalb der vier Wände ihres Gefängnisses zu besprechen. Heute ärgert es mich mehr denn je, dass ich nicht genügend Schneid hatte, diesen Groschenroman zu leben. Mercedes ihrerseits erfuhr von dem Plan erst nach über fünfzig Jahren, als sie die Rohfassung dieses Buches las.
    Es war eines der letzten Male, dass ich Figurita sah. Im Karneval des Jahres 1960 rutschte er, verkleidet als kubanischer Tiger, von der Kutsche, die ihn nach der Blumenschlacht wiederRichtung Baranoa nach Hause brachte, und brach sich auf dem mit Karnevalsabfällen bedeckten Pflaster das Genick.
    Am zweiten Abend meiner Arbeit über das Unglück in Medellin warteten zwei Redakteure der Zeitung El Colombiano im Hotel auf mich - beide waren so jung, dass sogar ich älter war - und wollten mit mir ein Interview über meine bis dahin veröffentlichten Erzählungen machen. Es kostete sie Mühe, mich dazu zu überreden, weil ich schon damals ein vielleicht ungerechtes Vorurteil gegen Interviews hatte, die ich immer noch als ein Frage-und-Antwort-Spiel betrachte, bei dem beide Seiten sich angestrengt bemühen, Bedeutsames von sich zu geben. Ich hatte dieses Vorurteil bei den beiden Zeitungen entwickelt, für die ich bis dahin tätig gewesen war, und dann bei Cronica versucht, die übrigen Mitarbeiter mit meiner Ablehnung anzustecken. Dennoch ließ ich mich auf dieses erste Interview für El Colombiano ein und war dabei von einer selbstmörderischen Ehrlichkeit.
    Die Interviews, deren Opfer ich über fünfzig Jahre lang in der halben Welt geworden bin, lassen sich nicht mehr zählen, dennoch habe ich mich weder als Interviewer noch als Interviewter von der Effizienz dieses Genres überzeugen können. Die große Mehrzahl der Interviews, denen ich mich nicht habe entziehen können, müssten als wichtiger Teil meines fiktionalen Werks gelten, denn sie enthalten unabhängig vom Thema nichts als Phantastereien über mein Leben. Für die Recherche haben Interviews allerdings einen unschätzbaren Wert, vorausgesetzt, man will sie nicht als solche veröffentlichen, sondern als Arbeitsmaterial für eine Reportage verwenden, die ich für das Beste des besten Berufs der Welt halte.
    Wie auch immer, die Zeit damals bot wenig Anlass zum Feiern. Die Regierung von General Rojas Pmilla, die bereits in einem offenen Konflikt mit der Presse und einem großen Teil der öffentlichen Meinung stand, hatte den Monat September mit dem Beschluss gekrönt, den fernen und vergessenen Bezirk Chocóunter seinen wohlhabenden Nachbarn aufzuteilen: Antioquia, Caldas und Valle. Die Bezirkshauptstadt Quibdo konnte man von Medellin aus nur auf einer einspurigen Landstraße erreichen, die in einem so schlechten Zustand war, dass man für hundertsechzig Kilometer mehr als zwanzig Stunden brauchte. Heute sind die Bedingungen nicht besser.
    In der Redaktion sahen wir kaum eine Möglichkeit, etwas gegen die Zerschlagung des Bezirks zu unternehmen, da die liberale Presse auf schlechtem Fuß mit der Regierung stand. Primo Guerrero, der altgediente Korrespondent von El Espectador in Quibdo, teilte uns nach drei Tagen mit, es sei zu einem Volksprotest gekommen, ganze Familien mit Kindern wären auf die große Plaza geströmt, entschlossen, diese Tag und Nacht besetzt zu halten, bis die Regierung ihr Vorhaben aufgebe. Die Fotos der rebellischen Mütter mit Kindern in den Armen wurden im Laufe der Tage immer jammervoller, weil das Ausharren bei Wind und Wetter die Leute sichtlich mitnahm. Von der Redaktion aus verstärkten wir täglich die Meldungen mit Kommentaren oder Erklärungen von Politikern und Intellektuellen, die in Bogotá wohnten, aber aus dem Choco stammten, doch die Regierung wollte die Angelegenheit offensichtlich aussitzen. Nach mehreren Tagen kam dann aber José Salgar mit dem tanzenden Stift eines Puppenspielers an meinen Schreibtisch und schlug mir vor, ich solle in den Choco fahren und feststellen, was da wirklich los sei. Ich versuchte, das Ansinnen mit dem bisschen

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