Leben, um davon zu erzählen
Unglücksfälle vor, die früher oder später eintrafen, ahnte voraus, wer mit einem weißen Hut aus Riohacha kommen würde, oder aus Manaure mit Koliken, die sich nur mittels Galle von Hühnergeiern kurieren ließen, denn sie war von Beruf nicht nur Prophetin, sondern auch eine heimliche Heilerin.
Sie hatte eine sehr persönliche Methode, eigene und fremde Träume zu deuten, die das tägliche Verhalten von jedem Einzelnen von uns und damit das Leben im Hause bestimmten. Dennoch wäre sie ohne jede Vorahnung fast zu Tode gekommen, als sie mit Schwung die Laken von ihrem Bett riss und sich ein Schuss aus dem Revolver löste, den der Oberst im Kopfkissenbezug versteckt hatte, um ihn beim Schlafen zur Hand zu haben. Die Kugel bohrte sich in die Decke, und sie musste, nach der Schussbahn zu urteilen, sehr nah an Großmutters Gesicht vorbeigeflogen sein.
Seitdem ich mich erinnern kann, hatte ich unter der morgendlichen Folter zu leiden, dass Mina mir die Zähne putzte, während sie das magische Privileg genoss, ihre zum Säubern herauszunehmen zu können und die Zähne, während sie schlief, in einem Glas Wasser aufzubewahren. Davon überzeugt, dass es sich um ihr natürliches Gebiss handelte, das sie mittels Guajira-Hexenkünsten einsetzen und herausnehmen konnte, brachte ich sie dazu, mir ihre Mundhöhle zu zeigen. Ich wollte sehen, wie die Rückseite der Augen, des Hirns, der Nase, der Ohren aussah, und musste enttäuscht feststellen, dass nicht mehr als der Gaumen zu sehen war. Doch niemand entschlüsselte mir das Wunder, und so versteifte ich mich eine Zeit lang darauf, dass der Zahnarzt auch mir zu einem solchen Gebiss verhelfen solle, damit Großmutter Mina mir die Zähne putzen konnte, während ich auf der Straße spielte.
Wir beide hatten so etwas wie einen Geheimcode, um mit dem unsichtbaren Universum in Verbindung zu treten. Tagsüber faszinierte mich die magische Welt der Großmutter, nachts aber löste sie das nackte Grauen in mir aus: die Angst vor der Dunkelheit, eine Angst, älter als wir selbst, die mich mein Leben lang auf einsamen Wegen und selbst in den Ballsälen der Hotels überall auf der Welt verfolgt hat. Im Haus der Großeltern hatte jeder Heilige sein Zimmer und jedes Zimmer seinen Toten. Doch das einzige Haus, das offiziell als das »Haus des Toten« bekannt war, stand neben dem unseren, und dieser Tote war der einzige, der sich bei einer spiritistischen Sitzung mit seinem Namen zu erkennen gegeben hatte: Alfonso Mora. Ein naher Bekannter machte sich die Mühe, dem Toten im Tauf- und Sterberegister nachzuspüren, er fand eine Reihe gleich lautender Namen, aber es gab keine Hinweise darauf, dass es sich um unseren Toten handelte. Über Jahre diente das Nachbarhaus als Pfarrhaus, und das Gerücht verbreitete sich, dass Pater Angarita selbst das Gespenst spielte, um die Neugierigen zu verscheuchen, die ihm bei seinen nächtlichen Abenteuern nachspionierten.
Meme, die Guajira-Sklavin, die von der Familie aus Barrancas mitgebracht worden war und die eines Tages mit Alirio, ihrem halbwüchsigen Bruder, floh, habe ich nicht mehr kennen gelernt, aber es hieß immer, dass diese beiden am nachhaltigsten die Sprechweise des Hauses mit ihrer Eingeborenensprache gewürzt hätten. Memes verworrenes Spanisch setzte die Dichter in Erstaunen, seit dem denkwürdigen Tag, als sie die Streichhölzer fand, die Onkel Juan de Dios verlegt hatte, und ihm die Schachtel mit triumphalem Kauderwelsch zurückgab:
»Hier ich bin, Zündholz dein.«
Schwer zu glauben ist, dass Großmutter Mina mit ihren zerstreuten Frauen der ökonomische Halt des Hauses war, als die Mittel zu versiegen begannen. Der Oberst besaß einige verstreute Stücke Land, die Cachaco-Siedler besetzt hatten, er wollte diese jedoch nicht vertreiben. In einer misslichen Lage, als es darum ging, die Ehre von einem seiner Söhne zu retten, musste er eine Hypothek auf das Haus in Cataca aufnehmen und danach ein Vermögen aufbringen, um es nicht zu verlieren. Als nichts mehr da war, erhielt Mina die Familie aus dem Handgelenk mit ihrer Bäckerei, den Karamelltierchen, die im ganzen Dorf verkauft wurden, den gescheckten Hühnern, den Enteneiern, dem Gemüse aus dem Hinterhof. Sie kürzte radikal das Personal und behielt nur die Tüchtigsten. Bargeld entschwand schließlich sogar aus der oralen Tradition des Hauses. So errechnete Tante Pa, als meine Mutter aus dem Internat zurückkehrte und ein Klavier gekauft werden sollte, den genauen Preis in
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