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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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brachten aber verstärkt aktuelle Themen und literarische Neuigkeiten. Alles war nutzlos: Es gelang uns nicht, das Missverständnis auszuräumen, dass Crónica ein Sportblatt sei, während die Fanatiker der Stadien ihren Irrtum eingesehen und uns unserem Schicksal überlassen hatten. Wir machten die Zeitschrift jedenfalls weiter so, wie wir es uns vorgenommen hatten, obwohl sie von der dritten Woche an im Fegefeuer ihrer Unentschiedenheit schmorte.
    Das hat mich nicht zurückgeworfen. Die Reise mit meiner Mutter nach Cataca, das historische Gespräch mit Don Ramón Vinyes und meine innige Verbundenheit mit der Gruppe von Barranquilla hatten mir neuen Mut gegegeben, der für immer anhalten sollte. Von da an habe ich jeden Centavo mit der Schreibmaschine verdient, und das halte ich für verdienstvoller, als es erscheinen mag, da ich die ersten Autorenhonorare, die mir erlaubten, von meinen Erzählungen und Romanen auch zu leben, mit über vierzig kassiert habe, zu einem Zeitpunkt, als ich bereits vier Bücher für ein verschwindend kleines Entgelt veröffentlicht hatte. Davor war mein Leben ständig von einem Gewirr aus Listen, Ausweichmanövern und Illusionen bestimmt gewesen, mit denen ich mich vor den unzähligen Verlockungen schützte, etwas anderes zu werden als Schriftsteller.

3
    Als der Niedergang von Aracataca besiegelt war, der Großvater gestorben und das, was noch von seinem unbestimmten Einfluss überdauert haben mochte, erloschen, waren wir, die wir davon gelebt hatten, den wehmütigen Erinnerungen ausgeliefert. Das Haus hatte seine Seele verloren, seitdem niemand mehr mit dem Zug kam. Mina und Francisca Simodosea blieben in der Obhut von Elvira Carrillo zurück, die sich sklavisch ergeben um beide kümmerte. Nachdem die Großmutter das Augenlicht und die Geistesklarheit verloren hatte, nahmen meine Eltern sie zu sich, damit sie wenigstens zum Sterben ein besseres Leben hätte. Tante Francisca, Jungfrau und Märtyrerin, nahm wie immer kein Blatt vor den Mund, verblüffte mit ihren harschen Sprüchen und weigerte sich auch, die Schlüssel des Friedhofs und die Hostienherstellung abzugeben, mit dem Argument, Gott hätte sie zu sich gerufen, wenn es sein Wille gewesen wäre. An irgendeinem beliebigen Tag setzte sie sich mit mehreren ihrer makellos weißen Leinentücher in die Tür ihres Zimmers und begann, nach Maß das eigene Totenhemd zu nähen, und sie machte das so sorgfältig, dass der Tod gut zwei Wochen warten musste, bis sie es fertig hatte. An diesem Abend ging sie, ohne sich von jemandem zu verabschieden, zu Bett, sie war nicht krank, noch litt sie an Schmerzen, legte sich also bei bester Gesundheit zum Sterben nieder. Erst später stellte man fest, dass sie die Nacht zuvor ihren eigenen Totenschein ausgefüllt und die Vorkehrungen für ihr Begräbnis getroffen hatte. So blieb Elvira Carrillo, die ebenfalls aus eigenem Willen nie einen Mann erkannt hatte, in der maßlosen Einsamkeit des Hauses allein zurück. Gegen Mitternacht schreckte sie von dem ewigen Husten in den Nachbarzimmern auf, aber das machte ihr nichts aus, weil sie daran gewöhnt war, auch das Leid des übernatürlichen Lebens zu teilen.
    Ihr Zwillingsbruder Esteban Carrillo blieb bis ins hohe Alter geistig klar und dynamisch. Einmal, als ich mit ihm frühstückte, erinnerte ich mich mit allen optischen Einzelheiten daran, wie sie seinen Vater, meinen Großvater, auf dem Schiff in der Ciénaga über Bord hatten werfen wollen, wie er von der Menge hochgehoben worden war, die ihn - wie die Fuhrleute den Sancho Panza - vertrimmen wollte. Papalelo war inzwischen verstorben, und ich erzählte Onkel Esteban von dem Vorfall, weil ich ihn komisch fand. Der Onkel aber sprang auf, wütend, weil ich keinem gleich davon erzählt hatte, und zugleich erpicht darauf, dass ich den Mann aus der Erinnerung identifizierte, der sich damals mit dem Großvater unterhalten hatte, damit dieser ihm sagen könne, wer seinen Vater zu ertränken versucht hatte. Er verstand auch nicht, warum dieser sich nicht gewehrt hatte, war er doch ein guter Schütze, der in zwei Bürgerkriegen oft in der Feuerlinie gestanden hatte, der mit dem Revolver unter dem Kopfkissen schlief und auch in Friedenszeiten einen Herausforderer im Duell getötet hatte. Wie auch immer, sagte Esteban zu mir, es sei nie zu spät für ihn und seine Brüder, den Affront zu rächen. Das war das Guajira-Gesetz: Für die Beleidigung, die einem Familienmitglied zugefügt wurde, mussten alle Männer

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