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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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tollkühnen Passagieren und den Postsäcken wie Grashüpfer die Route des Rio Magdalena hinter sich brachten. Das war der Keim der kolumbianisch-deutschen Gesellschaft für Lufttransporte - SCADTA -, einer der ältesten Fluglinien der Welt. Der Umzug nach Barranquilla bedeutete für mich nicht einfach einen Wechsel von Stadt und Haus, sondern im Alter von elf Jahren einen Wechsel des Vaters. Der neue war ein großartiger Mann, hatte aber eine Auffassung von väterlicher Autorität, die sich entscheidend von der unterschied, die Margot und mich im Haus der Großeltern glücklich gemacht hatte. Gewohnt daran, unsere eigenen Herren zu sein, fiel es uns schwer, uns einem fremden Regiment anzupassen. Was ich bei Papa so bewunderungswürdig und anrührend fand, war, dass er sich alles selbst beigebracht hatte, und er war der gierigste, wenn auch unsystematischste Leser, den ich kennen gelernt habe. Nachdem er die Medizin aufgegeben hatte, widmete er sich im Selbststudium der Homöopathie, die damals keine akademische Ausbildung erforderte, und bekam seine Lizenz mit Auszeichnung. Er hatte jedoch nicht die Kraft meiner Mutter, Krisen durchzustehen. Die schlimmsten verbrachte er in seinem Zimmer in der Hängematte, las dabei alles Gedruckte, was ihm in die Hände kam, oder löste Kreuzworträtsel. Unlösbar war jedoch sein Problem mit der Realität. Er verehrte auf fast mythische Weise die Reichen, aber nicht die, deren Reichtum unerklärlich war, sondern jene, die kraft ihres Talents und ihrer Rechtschaffenheit zu Geld gekommen waren. Schlaflos in seiner Hängematte liegend, häufte er auch am helllichten Tage in der Einbildung kolossale Reichtümer an, und zwar mit Unternehmungen, die so einleuchtend waren, dass er gar nicht verstand, warum er nicht schon eher darauf gekommen war. Als Beispiel führte er gerne das merkwürdigste Vermögen an, das im Darien bekannt wurde: zweihundert Meilen trächtiger Säue. Doch solche unerhörten Möglichkeiten, Geschäfte zu machen, fanden sich nicht an den Orten, wo wir lebten, sondern in abgelegenen Paradiesen, von denen er während seiner Wanderzeit als Telegrafist gehört hatte. Mit seinem fatalen Irrealismus hielt er uns, Reinfälle und Wiederholungstaten inbegriffen, gerade über Wasser, bescherte uns aber auch lange Phasen, in denen nicht einmal die Krümel des täglichen Brots vom Himmel fielen. Auf alle Fälle haben unsere Eltern uns in guten wie in schlechten Zeiten gelehrt, Erstere zu feiern und Letztere zu ertragen, beides mit der Demut und der Würde von Katholiken alten Schlags.
    Die einzige Prüfung, die mir noch bevorstand, war, allein mit meinem Vater zu reisen, aber ich holte das voll und ganz nach, als er mich nach Barranquilla mitnahm, wo ich ihm helfen sollte, die Apotheke einzurichten und die Ankunft der Familie vorzubereiten. Es überraschte mich, dass er mich, als er mit mir allein war, wie einen Erwachsenen behandelte, mit Zuneigung und Respekt, mir sogar Aufgaben überantwortete, die für ein Kind meines Alters nicht gerade leicht erschienen, die ich aber gut und begeistert erledigte, wenngleich nicht immer zu seiner Zufriedenheit. Er hatte die Gewohnheit, uns Geschichten aus seiner Kindheit in Since zu erzählen, er wiederholte sie jedoch Jahr für Jahr für die neu hinzugekommenen Kinder, so dass sie für uns, die wir sie schon kannten, an Reiz verloren und wir Älteren sogar aufstanden, wenn er sie nach Tisch erzählte. In einem seiner vielen Anfälle von Ehrlichkeit beleidigte Luis Enrique den Vater, als er beim Aufstehen sagte:
    » Gebt Bescheid, wenn der Großvater mal wieder gestorben ist.«
    Solche spontanen Anwandlungen trieben meinen Vater zur Verzweiflung und vermehrten die schon angehäuften Gründe, Luis Enrique in die Erziehungsanstalt nach Medellin zu schicken. Als Papa mit mir nach Barranquilla fuhr, wurde er jedoch ein anderer. Das Repertoire beliebter Anekdoten wurde ins Archiv verbannt, und er erzählte mir stattdessen interessante Episoden aus dem komplizierten Leben mit seiner Mutter, redete über den legendären Geiz seines Vaters und die eigenen Schwierigkeiten beim Studium. Diese Rückblicke erlaubten mir, einige seiner Launen besser zu ertragen und seine Uneinsichtigkeit in gewissen Situationen zu verstehen.
    In jener Zeit sprachen wir über gelesene Bücher und solche, die noch zu lesen waren, und auf dem Markt fuhren wir bei den Ständen mit zerfledderten Büchern eine gute Ernte an Tarzanheften, Krimis und Geschichten über

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