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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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auch nicht bei den Fräulein Loiseau, sechs von Geburt an invaliden Schwestern, die dennoch, ohne sich von ihren Schaukelstühlen zu erheben, guten Tanzunterricht erteilten. Mein Vater, der dem Ruhm gegenüber nie gleichgültig war, begegnete mir mit einem neuen Blick. Zum ersten Mal führten wir stundenlange Gespräche. Wir kannten uns kaum. Von heute aus gesehen, habe ich tatsächlich nicht mehr als drei Jahre mit meinen Eltern zusammengelebt, wenn man die Zeit in Aracataca, Barranquilla, Cartagena, Sincé und Sucre zusammenzählt. Diese Ferien erlaubten mir, sie näher kennen zu lernen, für mich eine äußerst angenehme Erfahrung. Meine Mutter sprach es aus: »Wie schön, dass du mit Papa gut Freund geworden bist.« Tage später sagte sie, während sie in der Küche Kaffee kochte, noch mehr:
    »Dein Vater ist sehr stolz auf dich.«
    Am nächsten Tag weckte sie mich auf Zehenspitzen und hauchte mir ins Ohr: »Papa hat eine Überraschung für dich.« In der Tat, als er zum Frühstück herunterkam, eröffnete er mir feierlich in Anwesenheit aller:
    »Pack deine Sachen, du fährst nach Bogotá.«
    Zuerst verspürte ich eine große Ernüchterung, da ich inzwischen am liebsten im ewigen Feiern ertrunken wäre. Doch die Tugend setzte sich durch. Wegen der Kleidung für die kalte Region gab es keine Probleme. Mein Vater hatte von seinen Jugendreisen nach Bogotá noch einen schwarzen Cheviotanzug und einen weiteren aus Tuch, und keinen von beiden konnte er mehr über der Taille schließen. Also gingen wir damit zu Pedro León Rosales, dem so genannten Wunderschneider, und er änderte sie auf meine Größe. Außerdem kaufte mir meine Mutter den Kamelhaarmantel eines vor sechs Jahren verstorbenen Senators. Als der Schneider zu Hause meine Maße nahm, wurde ich heimlich von meiner Schwester Ligia - die von Natur aus Hellseherin ist - gewarnt: Der Geist des Senators spuke nachts in diesem Mantel durch sein Haus. Ich hörte nicht auf sie, hätte es aber besser getan, denn als ich den Mantel in Bogotá anzog, sah ich beim Blick in den Spiegel das Gesicht des verstorbenen Senators. Ich brachte den Mantel für zehn Pesos ins Pfandhaus und löste ihn nicht wieder aus.
    Die Stimmung im Hause hatte sich so gebessert, dass ich beim Abschied fast geweint hätte, doch das Programm wurde ohne Sentimentalitäten Punkt für Punkt durchgezogen. In der zweiten Januarwoche bestieg ich in Magangué die David Arango, das Flaggschiff der Kolumbianischen Schifffahrtsgesellschaft, nachdem ich eine Nacht als freier Mann gelebt hatte.
    Mein Kabinenkollege war ein Engel von zweihundertzwanzig Pfund und am ganzen Körper unbehaart. Er hatte sich den Namen Jack the Ripper zugelegt und war der letzte Überlebende eines Zirkusgeschlechts von Messerwerfern aus Kleinasien. Auf den ersten Blick schien er fähig, mich im Schlaf zu erwürgen, doch in den nächsten Tagen erkannte ich, dass er genau das war, was er zu sein schien: ein Riesenbaby mit einem großen Herzen, das kaum in seinen Körper passte.
    Am ersten Abend gab es eine offizielle Feier mit Orchester und Galadiner, aber ich stahl mich an Deck, betrachtete zum letzten Mal die Lichter einer Welt, die ich schmerzlos zu vergessen beschlossen hatte, und weinte nach Herzenslust bis zum Morgengrauen. Heute gehe ich so weit zu sagen, dass der Wunsch, diese Fahrt noch einmal zu genießen, der einzige Grund ist, noch einmal Kind sein zu wollen. Ich musste sie in den vier Jahren, die mir bis zum Abitur blieben, und den zwei weiteren an der Universität mehrmals hinter mich bringen, und jedes Mal habe ich dabei mehr vom Leben gelernt als auf der Schule, und besser gelernt als auf der Schule. Wenn der Strom reichlich Wasser führte, dauerte die Fahrt flussaufwärts acht Tage von Barranquilla nach Puerto Salgar, und von dort ging es in einer Tagesreise mit dem Zug nach Bogotá. In den Trockenperioden, die, wenn man es nicht eilig hatte, am unterhaltsamsten waren, konnte die Fahrt bis zu drei Wochen dauern.
    Die Schiffe hatten einfache, nahe liegende Namen: Atlantico, Medellin, Capitán de Caro, David Arango. Ihre Kapitäne waren, wie die bei Joseph Conrad, autoritär und gutmütig, sie fraßen wie die Barbaren und konnten nicht allein in ihren königlichen Kabinen schlafen. Die Reisen waren gemächlich und voller Überraschungen. Wir Passagiere saßen den ganzen Tag lang auf den Decks und betrachteten die vergessenen Dörfer, die Kaimane, die mit geöffnetem Schlund dalagen und auf sorglose Schmetterlinge

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