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Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy

Titel: Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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Stande zu ergründen, was denn eigentlich da unten vor sich gehe; er konnte sich auch entfernt keine Vermuthung darüber bilden, was zum Teufel eigentlich los sei. Da er jedoch nicht wußte, welche Ursache sich herausstellen würde, hielt er es in der Lage, in der er sich befand, fürs Klügste, – es wo möglich wie ein Stoiker auszuhalten; was er mit Beihilfe einiger verzerrter Gesichter und Zusammenpressungen der Lippen hätte gewiß durchführen können, wenn seine Einbildungskraft dabei neutral geblieben wäre; – aber in Dingen dieser Art lassen sich die Ausbrüche der Phantasie nicht zügeln. – Auf einmal schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, es könnte, obschon er in seiner Pein das Gefühl einer Glühhitze hatte, – gleichwol ebensogut ein Biß als ein Brand sein; und dann wäre es nicht unmöglich, daß eine Eidechse oder Blindschleiche oder sonst ein abscheulicher Wurm an ihm heraufgekrochen wäre und ihn mit seinen Zähnen bearbeitete. Diese entsetzliche Idee, die mit einem erneuerten, peinvollen Brennen, das in diesem Augenblick von der Kastanie ausging, zusammentraf, versetzte Phutatorius in eine jähe Panik; – und in der ersten erschreckenden Verwirrung und Aufregung brachte es ihn, wie es schon den besten Generalen passirt ist, ganz aus dem Concept: – er sprang unwillkürlich in die Höhe und stieß dabei jenen so viel besprochenen Ausruf der Ueberraschung aus, den wir mit H—t! und den langen Gedankenstrichen dahinter bezeichnet haben – welcher Ausruf allerdings nicht ganz kanonisch, aber das Geringste war, was ein Mann in dieser Lage sagen konnte – und den Phutatorius, mochte er nun kanonisch sein oder nicht, ebenso wenig in seiner Gewalt hatte, als die Ursache desselben.
    In meiner Erzählung hat dies allerdings einen ziemlich großen Raum eingenommen, in Wirklichkeit aber nahm es nicht mehr Zeit in Anspruch, als Phutatorius dazu brauchte, um die Kastanie herauszulangen und sie heftig auf den Boden zu werfen, – und Yorick, um aufzustehen und sie aufzuheben.
    Es ist merkwürdig, was für eine Macht ganz unbedeutende Dinge auf unser Gemüth haben – welches unglaubliche Gewicht sie auf Bildung und Leitung unserer Ansichten über Personen und Dinge üben! wie Kleinigkeiten, leicht wie die Luft, einen Glauben in die Seele wehen, und so felsenfest darin pflanzen – daß, wenn man Euclid's Beweise in Batterie gegen sie aufführen würde, diese durchaus nicht im Stande wären, jene niederzuwerfen.
    Ich sagte, Yorick habe die Kastanie aufgehoben, die Phutatorius im Zorn auf den Boden geworfen: – diese Handlung war an sich gewiß unbedeutend; – ich muß mich schämen, nur davon zu sprechen; – er that es – aus keinem anderen Grunde, als weil er dachte die Kastanie sei durch den Vorgang nicht um ein Jota schlechter geworden; – und weil er glaubte, eine gute Kastanie sei schon der Mühe werth, daß man sich deshalb bücke. – Aber dieser Umstand, so unbedeutend er war, wirkte in Phutatorius' Kopfe ganz anders. Er betrachtete Yorick's Aufstehen vom Stuhle und Aufheben der Kastanie als ein klares Zugeständniß, daß die Kastanie ursprünglich sein gehört habe; – und daß es somit der Eigentümer der Kastanie und Niemand anderes gewesen sein müsse, der ihm jenen Streich mit derselben gespielt habe. Was ihn sehr in dieser Ansicht bestärkte, war der Umstand, daß der Tisch ein längliches Rechteck und sehr schmal war, wodurch Yorick, der Phutatorius gerade gegenüber saß, die schönste Gelegenheit erhielt, ihm die Kastanie hinein zu prakticiren; – und demnach hatte er es auch gethan. Der mehr als argwöhnische Blick, den Phutatorius auf Yorick warf, als diese Idee in ihm auftauchte, drückte seine Meinung nur zu deutlich aus; – und da man natürlich annahm, Phutatorius müsse die Sache besser wissen als irgend Einer, so wurde seine Ansicht sofort die allgemeine; und aus einem Grunde, der von allen bisher angeführten völlig verschieden ist, in kürzester Zeit ganz zweifellos.
    Wenn auf der Bühne dieser sublunarischen Welt große oder unerwartete Ereignisse eintreten, – so eilt der Geist in seinem Forschereifer alsbald hinter die Coulissen, um zu sehen, welches die Ursache und erste Quelle derselben war. – In diesem Falle dauerte die Forschung nicht lange.
    Jedermann wußte, daß Yorick niemals eine günstige Meinung von der Abhandlung gehegt hatte, welche Phutatorius über
Concubinis retinendis
schrieb, da er fürchtete, dieselbe habe nicht wenig Schaden in der Welt

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