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Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy

Titel: Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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unter Wasser setzte, war zuviel für ihn. – Er ließ den Zirkel fallen, – oder vielmehr er warf ihn mit einer Bewegung, die aus Zufall und Aerger gemischt war, auf den Tisch, es blieb ihm nichts übrig, als so klug wie er ausgefahren war (wie so viele Andere) wieder nach Calais zurückzukehren.
    Als man den Brief hereinbrachte, der die Nachricht vom Tode meines Bruders enthielt, war mein Vater in seiner Reise wieder bis zu dem Zirkelstich auf der gleichen Station Nevers vorgerückt. – Erlauben Sie, Herr Sanson, sagte mein Vater und stach mit seinem Zirkel durch Nevers bis in den Tisch – und winkte meinem Onkel Toby, daß er sehen möchte, was in dem Brief stehe, – zwei Mal in einer Nacht von einem so lausigen Nest wie Nevers zurückgejagt zu werden, Herr Sanson, ist für einen Engländer und seinen Sohn zu viel. Was meinst du, Toby? setzte mein Vater in einem munteren Tone hinzu. – Wenn's nicht eine Garnisonsstadt ist, sagte mein Onkel Toby, denn dann – Ich werde doch mein Lebenlang ein Esel bleiben, sagte mein Vater und lächelte vor sich hin. – Dann winkte er abermals meinem Onkel Toby, behielt seinen Zirkel in der einen Hand auf Nevers und das Postbuch in der anderen und bog sich halb rechnend, halb zuhörend auf beiden Ellbogen über den Tisch hin, während mein Onkel Toby den Brief überlief – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Er ist hinüber! sagte mein Onkel Toby. – Wo hinüber? – Wer? fragte mein Vater. – Mein Neffe, sagte mein Onkel Toby. – Was? – ohne Abschied? – ohne Geld? – ohne Hofmeister? rief mein Vater erstaunt. – Nein, nein! sagte mein Onkel Toby, er ist gestorben, lieber Bruder. – Ohne krank gewesen zu sein? rief mein Vater. – Das weiß ich nicht, versetzte mein Onkel Toby mit leiser Stimme und holte einen tiefen Seufzer aus dem Grunde seines Herzens; er muß wohl gehörig krank gewesen sein, – der arme Junge – denn er ist todt.
    Als Agrippinen der Tod ihres Sohnes gemeldet wurde, brach sie, wie uns Tacitus erzählt, ihre Arbeit jählings ab, da sie nicht im Stande war, die Heftigkeit ihres Schmerzes zu zügeln. – Mein Vater drückte seinen Zirkel nur um so fester in Nevers. – Welche Gegensätze! er war allerdings in einer Berechnung begriffen, Agrippina mußte wohl eine ganz andere Arbeit vorgehabt haben; wie könnte man sonst aus der Geschichte etwas ableiten wollen?
    Wie mein Vater weiter verfuhr, das verdient meiner Ansicht nach ein besonderes Kapitel.

121. Kapitel.
    Und ein Kapitel soll der Sache gewidmet werden, und zwar ein ganz verteufeltes; – also nehmen Sie sich in Acht!
    Es ist entweder Plato oder Plutarch oder Seneca oder Xenophon oder Epictet oder Theophrastus oder Lucian – oder vielleicht ein späterer Schriftsteller – Cardan oder Budäus oder Petrarca oder Stella, – möglicherweise auch ein geistlicher Autor oder Kirchenvater, St. Augustin, St. Cyprian oder Bernhard, der behauptet hat, ein unwiderstehlicher, natürlicher Drang führe dazu, über den Verlust von Freunden oder Kindern zu weinen; – und Seneca (das weiß ich gewiß), sagt irgendwo, solche Schmerzen werden am besten durch jenen besonderen Kanal gelindert. Wir finden demgemäß auch, daß David um seinen Sohn Absalon, Hadrian um Antinous, Niobe um ihre Kinder, und Apollodor und Crito um Socrates weinten, als er starb.
    Mein Vater behandelte seinen Kummer in anderer Weise und zwar ganz anders als die meisten Menschen des Alterthums oder der Neuzeit; denn er weinte ihn nicht hinweg wie die Hebräer und Römer, noch verschlief er ihn wie die Lappländer, – noch henkte er ihn auf wie die Engländer, – noch ersäufte er ihn wie die Deutschen, – noch verfluchte, verwünschte, excommunicirte, verreimte oder verlillabullerote er ihn, – und dennoch wußte er ihn los zu werden.
    Erlaubt mir der geneigte Leser hier eine kleine Geschichte einzuschieben?
    Als Tullius Cicero seine theure Tochter Tullia verlor, nahm er es sich zuerst sehr zu Herzen, – er hörte auf die Stimme der Natur und modulirte seine eigene darnach: – O meine Tullia! meine Tochter! mein Kind! – noch immer, immer, immer! – es war meine Tullia – meine Tullia! – Es ist mir als sehe ich meine Tullia, als höre ich meine Tullia, als spreche ich mit meiner Tullia. – Sobald er aber in das

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