Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy
abzubrechen? rief mein Vater, – halt ein, lieber Toby, fuhr er fort und nahm ihn bei der Hand, – halt ein, ich bitte dich dringend, unterbrich mich nicht in dieser Krisis. – Mein Onkel Toby steckte die Pfeife wieder in den Mund.
Was ist aus Troja und Mycenae, aus Theben und Delos, aus Persepolis und Agrigent geworden? fuhr mein Vater fort und griff wieder nach seinem Postbuch, das er weggelegt gehabt hatte. – Was ist aus Niniveh und Babylon geworden, Bruder Toby, aus Cyzicum und Mitylenae? Die schönsten Städte, die je die Sonne sah, sind nicht mehr; nur ihre Namen sind noch übrig; und selbst diese letzteren (von denen manche falsch geschrieben und ausgesprochen werden) verfallen Stück für Stück, und werden endlich vergessen und wie Alles in ewige Nacht gehüllt werden. Die Welt selbst, Bruder Toby, muß einmal ein Ende nehmen.
Als ich von Asien zurückkehrte und von Aegina nach Megara segelte (wann mag denn das wohl gewesen sein? dachte mein Onkel Toby) begann ich die Gegend um mich her ins Auge zu fassen: – Aegina lag hinter mir, Megara vor mir, der Pyräus zur Rechten, Corinth zur Linken. – Wie lagen diese einst so blühenden Städte jetzt darniedergeworfen, der Erde gleichgemacht da! Ach! ach! sprach ich zu mir selbst, warum soll ein Mensch sein Herz wegen des Verlusts eines Kindes in solchen Aufruhr versetzen, da so Großes um ihn her begraben liegt. – Bedenke, sprach ich zu mir selbst. bedenke, daß du ein Mensch bist.
Nun wußte mein Onkel Toby nicht, daß dieser letzte Absatz ein Auszug aus dem Trostbrief des Servius Sulpicius an Tullius war: – der Ehrliche war in einzelnen Stücken des Alterthums ebensowenig zu Hause wie im Ganzen; – und da mein Vater, als er noch mit der Türkei Handel trieb, drei bis vier Mal in der Levante gewesen war und namentlich einmal 1½ Jahr in Zante zugebracht hatte, schloß mein Onkel Toby ganz natürlich daraus, daß er in einer dieser Perioden einen Abstecher durch den Archipel nach Asien gemacht habe, und daß diese ganze Fahrt mit Aegina im Rücken, Megara vorwärts, Pyräus rechts u. s. w. der wirkliche Weg sei, den mein Vater damals genommen. und woraus er seine Betrachtungen ziehe. – Es war ja auch ganz in seiner Art, und mancher unternehmende Kritiker hätte auf schlechtere Fundamente zwei Stockwerke höher gebaut. – Bitte, Bruder, sprach mein Onkel Toby und legte dabei in freundlichster Unterbrechung – wobei er jedoch wartete bis jener fertig war – seine Pfeife auf die Hand meines Vaters, in welchem Jahr unseres Herrn war denn das? – In gar keinem Jahr unseres Herrn, erwiderte mein Vater. – Das ist ja unmöglich, rief mein Onkel Toby. – Dummkopf! sagte mein Vater, – es war ja vierzig Jahre vor Christi Geburt.
Meinem Onkel Toby blieben jetzt nur zwei Dinge übrig: er mußte entweder annehmen, daß sein Bruder der ewige Jude sei, oder, daß er über sein Unglück den Verstand verloren habe. – Der Allmächtige möge ihn beschützen und wieder zu Vernunft bringen, sprach mein Onkel Toby und betete mit Thränen in den Augen leise für meinen Vater.
Mein Vater setzte die Thränen auf eine andere Rechnung und fuhr lebhaft in seiner Rede fort.
Es ist kein so großer Unterschied zwischen gut und böse, Bruder Toby, als die Welt meint. (Diese Fortsetzung war eben nicht geeignet, meinen Onkel Toby von seinem Verdacht zu heilen). Arbeit, Sorge, Kummer, Krankheit, Mangel und Schmerz sind die Saucen des Lebens. – Wohl bekomm's! sagte mein Onkel Toby zu sich selbst.
Mein Sohn ist todt! – um so besser; – es wäre eine Schande, wenn man in einem solchen Sturme nur einen Anker hätte.
Aber er ist auf ewig von uns geschieden! – immerhin! – Er ist nur den Händen seines Barbiers entschlüpft, ehe er kahl geschoren war; – er ist vom Tische aufgestanden, ehe er übersättigt war; – vom Banket, ehe er betrunken war.
Die alten Thracier weinten, wenn ein Kind geboren wurde (das haben wir um ein Haar auch gethan, meinte mein Onkel Toby) und tafelten und waren vergnügt, wenn ein Mensch die Welt verließ; und zwar mit Recht. – Der Tod öffnet das Thor des Ruhms und schließt das Thor des Neides hinter sich zu; – er löst die Kette des Gefangenen – und legt die Last des Leibeigenen in eines andern Mannes Hände.
Zeige mir den Mann, der weiß was das Leben werth ist, der den Tod fürchtet, – und ich zeige dir einen Gefangenen, der sich vor seiner Freilassung fürchtet.
Ist es nicht besser, lieber Bruder Toby (denn alle
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