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Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy

Titel: Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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eines Weibes gleich kam, wenn das möglich ist, jenem weiblichen Zartgefühl, Madame, jener inneren Reinheit des Gemüths und der Phantasie, das uns so große Ehrfurcht vor Ihrem Geschlechte einflößt.
    Sie denken vielleicht, Madame, mein Onkel habe diese Tugend aus letzterer Quelle bezogen; – er habe einen großen Theil seiner Zeit im Umgang mit Ihrem Geschlechte zugebracht; er habe sich diese liebenswürdige Eigenschaft durch eine innige Bekanntschaft mit Ihrem Geschlecht, durch die Nachahmung, welche so schöne Beispiele unwiderstehlich hervorrufen, erworben.
    Ich wollte, ich könnte sagen, es sei so: – allein mit Ausnahme seiner Schwägerin, meines Vaters Gattin und meiner Mutter – wechselte mein Onkel Toby mit dem schönen Geschlecht kaum drei Worte in ebensoviel Jahren. – Nein, Madame, er erhielt es durch eine Quetschung. – Eine Quetschung! – Ja, Madame, durch eine Quetschung, die ihm ein Stein beibrachte, der bei der Belagerung von Namur durch eine Kanonenkugel von der Brustwehr eines Hornwerks abgesprengt wurde und der meinen Onkel gerade auf das Schambein traf. – Und wie konnte das jene Wirkung hervorbringen? – Diese Geschichte ist lang und interessant, Madame, – aber ich würde meine Erzählung vollkommen überstürzen, – wenn ich sie hier geben wollte. – Ich spare sie für später als Episode auf; und an der geeigneten Stelle soll Ihnen dann jeder Umstand getreulich vorgelegt werden; – bis dahin liegt es nicht in meiner Macht ein weiteres Licht über die Sache zu verbreiten, oder mehr zu sagen als was ich bereits gesagt habe – daß nämlich mein Onkel Toby ein Mann von beispielloser Züchtigkeit war, welche durch die beständige Wärme eines kleinen Familienstolzes noch etwas verdünnt und verfeinert wurde – beide zusammen brachten in ihm die Wirkung hervor, daß er niemals hören konnte, daß man die Geschichte meiner Tante Dinah berührte, ohne in die größte Aufregung zu gerathen. – Die leiseste Hindeutung darauf genügte, um ihm das Blut in das Gesicht zu jagen; – wenn sich aber mein Vater in einer gemischten Gesellschaft über die Geschichte verbreitete, wozu ihn die notwendige Erläuterung seiner Hypothese nicht selten veranlaßte – so traf der unselige Mehlthau, der damit auf einen der schönsten Zweige der Familie fiel, auch meines Onkels Toby Ehrgefühl und Züchtigkeit aufs schwerste; und er nahm dann meinen Vater oft in der äußersten Aufregung bei Seite und sagte ihm, er wolle ihm gerne geben, was er nur wolle, wenn er nur die Geschichte in Ruhe lasse.
    Mein Vater hatte gewiß die aufrichtigste Liebe und Anhänglichkeit für meinen Onkel Toby, die je ein Bruder gegen einen anderen hegte; und würde gewiß gerne Alles auf der Welt gethan haben, was ein Bruder vernünftiger Weise vom andern verlangen konnte, um meines Onkels Toby Herz in diesem wie in jedem andern Punkte zu erleichtern. Aber hier lag es nicht in seiner Macht.
    Mein Vater war, wie ich Ihnen bereits sagte, ein ächter Philosoph – speculativ – systematisch; – und die Geschichte meiner Tante Dinah war für ihn eine so wichtige Sache, wie es die Rückläufigkeit der Planeten für Copernicus war: – das Abfallen der Venus in ihrer Bahn bestätigte bekanntlich das nach ihm genannte Copernicanische System; das Abfallen meiner Tante Dinah aber that ganz den gleichen Dienst zu Feststellung des Systems meines Vaters, welches, wie ich überzeugt bin, für alle Zukunft nach ihm das Shandyanische System heißen wird.
    Bei jeder anderen Familienunehre hatte mein Vater gewiß ein ebenso kitzliches Schamgefühl als irgend Einer; – und weder er – noch gewiß auch Copernicus – würde die Sache weiter verbreitet oder die geringste Notiz von ihr vor der Welt genommen haben, wenn sie sich nicht beide, wie sie meinten, verpflichtet gefühlt hätten, die Wahrheit zu sagen.
Amicus Plato
, pflegte mein Vater zu sagen, indem er im Auf- und Abgehen meinem Onkel Toby die Worte erklärte;
Amicus Plato
– das heißt, Dinah war meine Tante; –
sed magis amica veritas
– aber die Wahrheit ist meine Schwester.
    Dieser Gegensatz in der Gemüthsart bei meinem Vater und meinem Onkel war die Veranlassung zu manchem brüderlichen Hader. Der Eine konnte die Geschichte von dem Familienunheil nicht erzählen hören; – und der Andere ließ kaum einen Tag vorübergehen, ohne eine Anspielung darauf zu machen.
    Um Gottes willen, pflegte dann mein Onkel Toby zu rufen, – und um meinetwillen, und um unsrer Aller willen,

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