Lebendig und begraben
sie sehr gut kennen musste, um es zu bemerken. »Du hast recht«, sagte sie. »Tut mir leid. Ich habe des Teufels Advokat gespielt. Vielleicht habe ich versucht, es so zu sehen wie Snyder. Angesichts dessen, was das Mädchen durchgemacht hat, ich meine diese versuchte Entführung vor ein paar Jahren, dürfte sie tatsächlich kaum mit einemfremden Mann nach Hause gehen, ganz gleich wie viel sie getrunken hat. Sie würde immer viel zu nervös dafür sein.«
»Es war keine
versuchte
Entführung«, korrigierte ich sie. »Sie wurde entführt. Und dann freigelassen.«
»Und man hat nie herausgefunden, wer dahinter steckte?«
»Richtig.«
»Seltsam, hab ich recht?«
»Allerdings.«
»Keine Lösegeldforderung.«
»Nichts.«
»Sie haben sie einfach … gepackt, sie ein paar Stunden durch die Gegend kutschiert und sie dann freigelassen? Das ganze Risiko, erwischt zu werden, ohne dass es sich auch nur im Geringsten gelohnt hat?«
»Ganz offensichtlich.«
»Und das glaubst du?«
»Ich habe überhaupt keinen Grund, es nicht zu glauben. Ich habe sehr viel Zeit damit verbracht, mit Alexa darüber zu reden.«
Diana lehnte sich auf ihrem Sessel zurück und blickte an die Decke. Sie hatte ein festes Kinn und einen schwanengleichen Hals. »Wenn ihr Vater heimlich ein Lösegeld gezahlt hätte und das niemandem erzählen wollte, würde sie das denn wirklich wissen?«
Sie war clever. Ich hatte vergessen, wie clever. »Wenn er einen Grund gehabt hat, es geheim zu halten, dann vielleicht nicht. Aber ich hatte nie den Eindruck, dass es so gewesen sein könnte.«
»Vielleicht erzählt er dir nicht alles.«
»Vielleicht gibt es etwas, das du nicht erzählst.«
Sie wich meinem Blick aus. Also gab es da etwas. »Ich muss verdammt vorsichtig sein«, sagte sie nach einem Moment.
»Verstehe.« Ich trank noch einen Schluck Kaffee und stellte den Becher dann auf den Couchtisch, der aus altem, verwittertem Teakholz bestand, das mit Schnitzereien verziert war.
»Ich weiß, dass ich auf deine Diskretion vertrauen kann.«
»Absolut.«
Ihr Blick schien sich irgendwo in die Ferne zu richten. Dann sah sie nach unten und nach rechts, was bedeutete, dass sie eine interne Debatte führte. Ich wartete. Wenn ich zu viel Druck machte, würde sie sofort dichtmachen.
Schließlich drehte sie sich zu mir herum. »Du weißt, dass ich nie vertrauliche Einzelheiten einer laufenden Ermittlung weitergebe, und ich werde jetzt nicht damit anfangen. Keine Lecks, keine Gefallen. So habe ich immer gearbeitet.«
»Das weiß ich.«
»Es gibt offenbar Spekulationen, wonach Marshall Marcus Geld für einige ganz dubiose Gestalten wäscht.«
»Er wäscht Geld? Das ist lächerlich. Der Kerl ist Milliardär. Er braucht kein Geld zu waschen. Möglicherweise verwaltet er Geld für irgendwelche fragwürdigen Klienten. Aber das ist nicht dasselbe, wie Geld zu waschen.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich sage dir nur, was ich gehört habe. Und ich muss dich warnen: Gordon Snyder ist niemand, den man sich zum Feind machen sollte.«
»Es gibt Leute, die das auch über mich sagen.«
»Das stimmt auch. Aber pass einfach auf. Wenn dieser Bursche glaubt, dass du gegen ihn arbeitest, gegen seinen Fall, dann schießt er aus allen Rohren auf dich.«
»Ach ja?«
»Er wird das Gesetz nicht brechen. Aber er wird bis an die Grenze gehen. Und er wird jede legale Möglichkeit nutzen, die ihm zur Verfügung steht. Er lässt sich durch nichts aufhalten.«
»Ich bin gewarnt.«
»Okay. Hast du ein Foto von Alexa bei dir?«
»Klar«, antwortete ich und griff in meine Brusttasche, um eines der Fotos herauszuziehen, die Marcus mir gegeben hatte. »Aber warum?«
»Ich muss ihr Gesicht sehen.«
Diana kam zu mir und setzte sich neben mich auf die Couch. Ich spürte, wie mein Herz etwas schneller schlug, und fühlte die Hitze ihres Körpers. Ein anderes Lied wurde gerade gespielt: Judy Collins’ eindringliche Ballade »My Father«. Ich gab Diana ein Foto von Alexa in ihrem Hockeydress. Sie hatte das blonde Haar mit einem Band zurückgebunden, ihre Wangen waren rosig und gesund, und ihre blauen Augen funkelten.
»Hübsch«, sagte sie. »Sie sieht aus, als hätte sie Mumm.«
»Das hat sie. Und die letzten Jahre waren nicht gerade leicht für sie.«
»Das ist kein einfaches Alter. Ich habe es gehasst, siebzehn zu sein.«
Diana hatte nie viel darüber geredet, wie sie aufgewachsen war, außer dass sie aus Scottsdale, Arizona, stammte. Der Vater war U. S. Marshall gewesen und
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