Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebens-Mittel

Lebens-Mittel

Titel: Lebens-Mittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Pollan
Vom Netzwerk:
bekommen, das sie erwarten... [und] wenn ein Lebensmittel einem Standardlebensmittel gleicht, dem Standard aber nicht entspricht, muss es als ›Imitat‹ gekennzeichnet werden.«
    Es ist schwer, dagegen etwas einzuwenden … aber die Lebensmittelindustrie tat es, emsig und jahrzehntelang. 1973 gelang es ihr schließlich, das Imitat-Gesetz zu kippen. Diese kaum bemerkte, aber folgenschwere Maßnahme trug dazu bei, dass Amerika auf dem nutritionistischen Weg noch ein bisschen schneller voranstolperte.
    Die Industrie hasste das Imitat-Gesetz. Der amerikanische Handel hatte eine derart schillernde Geschichte von gepanschten Nahrungsmitteln und Quacksalberprodukten aller Art hinter sich, dass es für ein Produkt den Todeskuss bedeutete, wenn es als Imitat gekennzeichnet war – es war das Eingeständnis, dass es verfälscht und minderwertig war. In den 1960er und 1970er Jahren stand die Forderung, verfälschte Lebensmittel mit einer derart abwertenden Aufschrift zu versehen, der Erneuerung und generellen Umformulierung der amerikanischen Lebensmittelversorgung im Weg; angesichts der wachsenden Besorgnisse bezüglich Nahrungsfett und Cholesterin hielt man dieses Projekt inzwischen für eine gute Sache. Was 1906 noch als unerlaubte Anpreisung und Betrug gegolten hatte, wurde 1973 als vernünftige Gesundheitspolitik betrachtet. Die American Heart Association, die die Amerikaner unbedingt von gesättigten Fetten weg, und zu Pflanzenölen (inklusive gehärteten Pflanzenfetten) hinbringen wollte, ermunterte die Lebensmittelindustrie aktiv dazu, verschiedene Lebensmittel so zu »modifizieren«, dass ihnen die gesättigten Fette und das Cholesterin entzogen wurden. Anfang der 1970er Jahre drängte der Verband darauf, »alle bestehenden und behördlichen Hindernisse zu beseitigen, die der Vermarktung dieser Lebensmittel entgegenstehen«.
    Das geschah tatsächlich: 1973 hob die FDA (nicht der Kongress, der das Gesetz verabschiedet hatte) das Imitat-Gesetz von 1938 auf. Die Änderung wurde unter einer Reihe von neuen, scheinbar verbraucherfreundlichen Richtlinien zur Nährstoffkennzeichnung versteckt. Die New York Times erwähnte in ihrem Bericht unter der Schlagzeile F.D.A. Proposes Sweeping Change in Food Labeling: New Rules Designed to Give Consumers a Better Idea of Nutritional Value (»FDA schlägt drastische Änderung der Lebensmittelkennzeichnung vor: Neue Vorschriften sollen den Verbrauchern eine bessere Vorstellung von den Nährwerten geben«) die Aufhebung des Imitat-Gesetzes erst im siebenundzwanzigsten Paragrafen. (Die Unterzeile verriet, worum es ging: Processors back move – »Weiterverarbeiter unterstützen die Maßnahme«). Die revidierte Version des Imitat-Gesetzes besagte, dass ein Imitat ohne Verwendung des gefürchteten »I«-Wortes vermarktet werden konnte, wenn sein Nährwert nicht geringer war als der des natürlichen Lebensmittels, als das es sich ausgab – solange es dieselben Mengen identifizierter Nährstoffe enthielt.
    Damit stand die Behördentür für alle möglichen verfälschten fettarmen Produkte weit offen: Fette in Produkten wie Sauerrahm oder Joghurt konnten jetzt durch gehärtete Öle, Guarkernmehl oder Carrageen ersetzt werden, Schinkenspeckwürfel durch Sojaprotein, die Sahne in »Schlagsahne« und »Kaffeesahne« war gegen Maisstärke austauschbar, und die Dotter von Flüssigeiern konnten durch praktisch alles ersetzt werden, was die Lebensmittelwissenschaftler austüftelten, denn jetzt gab es keine Grenzen mehr. Solange die neuen Mogelprodukte so designt waren, dass ihr Nährstoffgehalt dem des echten Produktes entsprach, galten sie nicht als Schwindel. Hier ist natürlich die nutritionistische Annahme am Werk, wir wüssten genug, um die Nährstoffäquivalenz feststellen zu können – was nie der Fall war, wie die bewegte Geschichte der Milchnahrung für Säuglinge zeigt.
    Der Nährstoffwahn war zur offiziellen FDA-Ideologie geworden; in jeder Hinsicht hatte die Regierung Lebensmittel als bloße Summe ihrer bekannten Nährstoffe umdefiniert. Das Verfälschen war als Lebensmittelwissenschaft positioniert worden. Jetzt reichte der Anstoß durch McGoverns Ernährungsziele, und Hunderte von »traditionellen Lebensmitteln, die jeder kennt« begannen ihren langen Rückzug aus den Supermarktregalen. Und wir fingen an, »wissenschaftlicher« zu essen.

4
     
    Das goldene Zeitalter des Nährstoffwahns
     
    In den Jahren nach den Ernährungszielen von 1977 und dem Bericht der US-Akademie der

Weitere Kostenlose Bücher