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Lebens-Mittel

Lebens-Mittel

Titel: Lebens-Mittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Pollan
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Lebensmittel nur im Hinblick auf die verschiedenen Mengen an Nährstoffen verstanden werden, die sie enthalten«, schrieb Gyorgy Scrinis, »können weiterverarbeitete Lebensmittel sogar als für Sie ›gesünder‹ betrachtet werden als naturbelassene Lebensmittel, wenn sie ein paar Nährstoffe in den richtigen Mengen enthalten.« Ein Hoch auf die Fertiggerichte!

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    Der Nutritionismus betritt die Bühne
     
    Den Herstellern von weiterverarbeiteten Nahrungsmitteln jedenfalls war dieser Gedanke überaus angenehm, und das mag erklären, warum sie so begeistert auf den fahrenden Zug des Nutritionismus aufgesprungen sind. Tatsächlich ist der »Nährstoffwahn« die beste Rechtfertigung für weiterverarbeitete Nahrungsmittel, denn er vermittelt den Eindruck, Nahrungsmittelimitate könnten bei intelligenter Anwendung der Lebensmitteltechnik zu etwas noch Nahrhafterem gemacht werden, als das Ausgangsprodukt bereits ist. Das ist zum Beispiel mit der Margarine passiert, dem ersten wichtigen synthetischen Nahrungsmittel, das sich in unsere Ernährung eingeschlichen hat. Die Margarine startete im 19. Jahrhundert als billiger und minderwertiger Ersatz für Butter, aber als in den 1950er Jahren die Lipid-Hypothese aufkam, wurde den Herstellern schnell klar, dass ihr Produkt durch ein bisschen Basteln als besser – intelligenter – als Butter vermarkt werden könnte: als eine Butter, der die schlechten Nährstoffe (Cholesterin und gesättigte Fette) entzogen und die guten Nährstoffe (mehrfach ungesättigte Fette, dann Vitamine) zugesetzt worden waren. Jedes Mal, wenn festgestellt wurde, dass der Margarine etwas fehlte, konnte man den gewünschten Nährstoff einfach dazupacken (Vitamin D? Ist jetzt drin . Vitamin A? Klar doch, kein Problem .) Natürlich konnte die Margarine, die nicht ein Produkt der Natur, sondern des menschlichen Erfindungsgeistes war, nie intelligenter konstruiert sein, als das Rezept es zulässt, nach dem die Nährstoff-Wissenschaftler sie kreiert hatten, und die Wissenschaftler erwiesen sich als nicht annähernd so intelligent, wie sie gedacht hatten. Es stellte sich nämlich heraus, dass die clevere Methode der Lebensmittelingenieure, ein gesundes Pflanzenöl bei Raumtemperatur fest werden zu lassen – indem sie es mit Wasserstoff ruinierten – ungesunde Transfette produzierte, von denen wir heute wissen, dass sie gefährlicher sind als die gesättigten Fette, die sie ersetzen sollten. Aber das Schöne an einem weiterverarbeiteten Nahrungsmittel wie der Margarine ist ja, dass es endlos umgebaut werden und so auch die lästigste Kehrtwendung des nutritionistischen Denkens mitmachen kann – auch den echten Knaller, dass der Hauptbestandteil dieses Nahrungsmittels Herzinfarkte und Krebs auslösen könnte. Deshalb sind die Transfette jetzt weg, und die Erfolgsgeschichte der Margarine geht weiter, unbeeindruckt und anscheinend durch nichts umzubringen. Schade nur, dass man das nicht auch von einer unbekannten Anzahl von Margarine-Essern sagen kann.
    Inzwischen haben wir uns an Schein-Nahrungsmittel so gewöhnt, dass wir den schwierigen Weg vergessen, den man für die Margarine freischaufeln musste, bevor sie und andere synthetische Nahrungserzeugnisse von Behörden und Verbrauchern akzeptiert wurden. Spätestens seit Upton Sinclair 1906 The Jungle veröffentlichte 4 , bereitete die Fälschung gängiger Lebensmittel der essenden Öffentlichkeit große Sorgen, und eine ganze Reihe von US-Gesetzen und FDA-Verordnungen 5 wurde zu diesem Thema herausgebracht. Viele Verbraucher hielten die »Oleomargarine« für eine solche Fälschung, und Ende des 19. Jahrhunderts verabschiedeten fünf US-Staaten Gesetze, die vorschrieben, dass alle Butter-Imitate rosa einzufärben seien, damit niemand hinters Licht geführt werden konnte. 1898 kassierte der Oberste Gerichtshof der USA die Gesetze. Hätte das Verfahren überlebt, hätte es vielleicht ein paar Leben gerettet.
    1938 wurden in den USA die Daumenschrauben wieder angezogen: Ein Gesetz über Lebensmittel, Arzneimittel und Kosmetika ( »Food, Drug and Cosmetic Act« ) schrieb vor, das Wort »Imitat« müsse auf jedem Nahrungsprodukt erscheinen, das, nun ja, ein Imitat war. Wenn man das Gesetz heute liest, wirkt seine offizielle Begründung vernünftig und liebenswert antiquiert zugleich: »... es gibt bestimmte traditionelle Lebensmittel, die jeder kennt, zum Beispiel Brot, Milch und Käse, und Verbraucher, die diese Lebensmittel kaufen, sollten das Lebensmittel

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