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Lebens-Mittel

Lebens-Mittel

Titel: Lebens-Mittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Pollan
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von den US-Gesundheitsinstituten gesponserten Studie zum Nahrungsfett, wurden die Essgewohnheiten und die gesundheitlichen Ergebnisse von annähernd neunundvierzigtausend Frauen zwischen fünfzig und neunundsiebzig Jahren acht Jahre lang beobachtet, um den Einfluss einer fettarmen Ernährung auf das Risiko für Brust-, Dick- und Mastdarmkrebs sowie Herz- und Gefäßerkrankungen bei Frauen zu beurteilen. Vierzig Prozent der Frauen wurden angewiesen, ihren Fettverzehr auf 20 Prozent der Gesamtkalorien zu reduzieren. Als 2006 die Ergebnisse verkündet wurden, machten sie Schlagzeilen (die New York Times titelte: Studie stellt fest: Fettarme Ernährung stoppt Gesundheitsrisiken nicht), und die Verunsicherungen, unter denen die Amerikaner sich mühten, richtig zu essen, nahmen weiter zu.
    Selbst eine flüchtige Überprüfung des Studienaufbaus muss zu der Frage führen, was sie in puncto Nahrungsfett oder Fleischverzehr überhaupt bewiesen hat. Wie bei der Nurses’ Health Study könnten Sie vorbringen, solche Erhebungen würden letztlich nur beweisen, dass es für die Gesundheit nicht großartig etwas bringt, wenn reihum jeweils ein Bestandteil der Ernährung geringfügig verändert wird. Aber die drastischste Schlussfolgerung, die sich aus einer Analyse der Women’s Health Initiative ziehen lässt, lautet möglicherweise: Die Grenzen dieser Art von Ernährungsforschung, bei der ein Nährstoff nach dem anderen untersucht wird, sind in ihr bereits angelegt.
    Selbst dem mit dem Nutritionismus nicht Vertrauten werden sofort mehrere Mängel auffallen: Das Augenmerk lag auf dem Nahrungsfett, nicht auf irgendeinem speziellen Nahrungsmittel wie Fleisch oder Milchprodukten. Daher konnten die Frauen ihr Ziel einfach dadurch erreichen, dass sie zu fettärmeren tierischen Produkten wechselten. Außerdem wurde nicht zwischen verschiedenen Fettarten unterschieden: Frauen, die ihre erlaubte Fettration aus Olivenöl oder Fisch bezogen, wurden mit Frauen in einen Topf geworfen, die ihr Fett aus fettarmem Käse, Hähnchenbrust oder Margarine bezogen. Warum? Weil vor sechzehn Jahren, als die Studie entwickelt wurde, das ganze Konzept von den »guten Fetten« noch nicht im Blick des wissenschaftlichen Horizonts lag. Wissenschaftler untersuchen, was sie sehen können.
    Ein weiteres Problem der Studie bestand darin, dass die Fettarm-Gruppe das Ziel nicht erreichte, ihre Fettaufnahme auf 20 Prozent der Gesamtkalorien zu reduzieren. Das beste Ergebnis, das sie schaffte, waren 24 Prozent im ersten Jahr, aber am Ende der Studie lag sie bei 29 Prozent – nur ein paar Prozentpunkte weniger als das, was die Kontrollgruppe an Fett zu sich nahm. Deren Fettverzehr ging zurück, denn die Frauen, die so viel Fett essen durften, wie sie wollten, lasen wahrscheinlich auch die Zeitung und die Etiketten auf den Lebensmittelprodukten und verinnerlichten die Begeisterung der Gesellschaft für alles Fettreduzierte. (Diese verfälschende Beeinflussung einer Kontrollgruppe durch populäre Ernährungsempfehlungen wird als Behandlungseffekt bezeichnet.) Deshalb ist es kaum überraschend, dass die gesundheitlichen Ergebnisse sich in den beiden Gruppen nicht großartig unterschieden – letztendlich werden sie wohl so ziemlich das Gleiche gegessen haben.
    Ich sage, »werden sie wohl«, denn in Wirklichkeit haben wir keine Ahnung, was diese Frauen tatsächlich gegessen haben. Wie die meisten Leute, die nach ihrer Ernährung befragt werden, machten sie unrichtige Angaben – was uns zum vielleicht allergrößten Problem der angewandten Ernährungswissenschaft bringt. Sogar die Wissenschaftler, die solche Forschungen durchführen, tun dies in dem Wissen, dass die Leute ihre Nahrungsaufnahme immer unterschätzen (seien wir großzügig). Die Forscher haben für das Ausmaß des Irrtums sogar wissenschaftliche Koeffizienten entwickelt. »Validierungsstudien« zu Ernährungserhebungen wie der Women’s Health Initiative oder der Nurses’ Study – die sich auf Fragebögen zur Verzehrhäufigkeit verlassen, die von den Probanden mehrmals jährlich ausgefüllt wurden – zeigen, dass Leute durchschnittlich zwischen einem Fünftel und einem Drittel mehr essen, als sie in Fragebögen angeben. 14 Woher wissen die Forscher das? Sie vergleichen das, was Leute auf ihren Fragebögen zur Verzehrhäufigkeit (»Food Frequency Questionnaires« – FFQs) berichten, mit Befragungen über ihre Nahrungsaufnahme in den letzten vierundzwanzig Stunden, die als etwas zuverlässiger gelten.

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