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Lebens-Mittel

Lebens-Mittel

Titel: Lebens-Mittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Pollan
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erklären.
    Die epidemiologischen Vergleiche zwischen unterschiedlichen Populationen werden also durch lebensstilbedingte Störfaktoren erschwert, aber die angeblich gründlicheren Studien an großen amerikanischen Bevölkerungsgruppen leiden unter noch gravierenderen Mängeln. Ernährungsforscher haben drei Hauptmethoden, um die Wirkung der Ernährung auf die Gesundheit zu untersuchen; in aufsteigender Reihenfolge der vermuteten Zuverlässigkeit sind dies: die Fallkontrollstudie, die Kohortenstudie und die Interventionsstudie. Alle drei haben unterschiedliche Mängel.
    Bei der Fallkontrollstudie versuchen die Forscher, die Ernährung eines Probanden zu ermitteln, bei dem eine chronische Krankheit diagnostiziert wurde, um deren Ursache herauszufinden. Ein Problem besteht darin, dass die Leute ihr Essverhalten möglicherweise ändern, wenn sie krank werden, sodass die Ernährung, die sie berichten, unter Umständen nicht die Ernährung ist, die für ihre Krankheit verantwortlich ist. Ein weiteres Problem besteht darin, dass diese Patienten im Normalfall berichten werden, sie würden große Mengen des Nährstoffs essen, der momentan gerade der »böse« ist. Auch diese Leute lesen die Zeitung; es ist nur natürlich, nach Ursachen für das eigene Unglück zu suchen und, vielleicht, die eigene Krankheit mit dem eigenen Verhalten in Verbindung zu bringen. Zu den schädlichsten Aspekten des Nutritionismus gehört, dass er uns dazu ermuntert, unsere gesundheitlichen Probleme Entscheidungen zuzuschreiben, die unseren Lebensstil betreffen; das impliziert, dass letztlich der Einzelne die Verantwortung für jede Krankheit trägt, die ihm widerfährt. Es lohnt sich, daran zu erinnern, dass Herzkrankheiten sich sehr viel stärker anhand der sozialen Schicht vorhersagen lassen als anhand der Ernährung oder der körperlichen Bewegung.
    Langzeit-Beobachtungsstudien an Kohortengruppen, zum Beispiel die Nurses’ Health Study, stellen im Vergleich zur Fallkontrollstudie einen großen Fortschritt an Zuverlässigkeit dar. Zum einen blicken diese Studien in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit: Sie fangen mit der Beobachtung der Testpersonen an, bevor diese krank werden. Die Nurses’ Study, die (zum Preis von mehr als hundert Millionen Dollar) über mehrere Jahrzehnte hinweg die Angaben zu den Essgewohnheiten und die gesundheitlichen Ergebnisse von über einhunderttausend Frauen gesammelt hat, gilt als die beste Studie dieser Art, aber auch sie hat Grenzen. Sie verlässt sich zum Beispiel auf Fragebögen zur Verzehrhäufigkeit (mehr darüber gleich). Ein weiteres Problem ist die ausgewählte Krankenschwesterngruppe. Kritiker (insbesondere Colin Campbell) weisen darauf hin, dass die Stichprobe relativ einheitlich ist und sogar noch mehr Fleisch verzehrt als der Durchschnitt der US-Bevölkerung. Praktisch alle in der Gruppe nehmen eine westlich geprägte Ernährung zu sich. Wenn daher Forscher diese Testpopulation in Gruppen einteilen (normalerweise fünf), um zum Beispiel die Wirkung einer fettarmen Ernährung zu untersuchen, wird das Fünftel, das die fettärmste Ernährung zu sich nimmt, nicht extrem wenig Fett essen – oder sich von dem Fünftel mit der fettreichsten Ernährung wesentlich unterscheiden. »Praktisch die ganze Krankenschwesternkohorte nimmt eine risikoreiche Ernährung zu sich«, meint Campbell. Das könnte erklären, warum die Nurses’ Study bei vielen der von ihr untersuchten Ernährungsinterventionen keine wesentlichen Vorteile entdeckt hat. In einer Testpopulation wie dieser, in der eine recht standardmäßige westliche Kost auf den Tisch kam, lassen die guten oder schlechten Folgen radikal anderer Ernährungsweisen sich nicht erfassen. (In seinem Buch zitiert Campbell, wie Walter Willett auf diese Kritik reagierte: »Vielleicht haben Sie recht, Colin, aber die Leute wollen das nicht.«)
    Die sogenannte »Goldklasse der Ernährungsforschung« ist die groß angelegte Interventionsstudie. Bei diesen Studien, von denen die Women’s Health Initiative die größte und bekannteste ist, wird eine große Population in zwei Gruppen eingeteilt. Die Interventionsgruppe ändert ihre Ernährung auf irgendeine vorgeschriebene Weise, während die Kontrollgruppe das (hoffentlich) nicht tut. Die beiden Gruppen werden dann viele Jahre lang beobachtet, um herauszubekommen, ob die Intervention den relativen Anteil an chronischen Krankheiten beeinflusst. Bei der Women’s Health Initiative, einer 415 Millionen Dollar teuren,

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