Lebens-Mittel
Etwas. Denn wie erwartet hat dieser »Vierundzwanzig-Stunden-Recall« seine eigenen Probleme mit der Genauigkeit: Wie typisch für Ihre allgemeine Ernährung ist das, was Sie in irgendeinem Vierundzwanzig-Stunden-Zeitraum gegessen haben?
Versucht man, den von der Women’s Health Initiative verwendeten Fragebogen zur Verzehrhäufigkeit auszufüllen, was ich vor kurzem getan habe, wird klar, dass die Angaben, auf die sich all diese Ernährungsstudien verlassen, in Wirklichkeit auf recht wackligen Füßen stehen. Das Formular, das sich in etwa fünfundvierzig Minuten ausfüllen lässt, beginnt mit relativ einfachen Fragen. »Haben Sie in den letzten drei Monaten Huhn oder Truthahn gegessen?« Nachdem ich mit Ja geantwortet hatte, wurde ich gefragt: »Wenn Sie Huhn oder Truthahn gegessen haben: Wie oft haben Sie die Haut mitgegessen?«, und: »Haben Sie sich normalerweise für helles Fleisch, dunkles Fleisch oder beides entschieden?« Aber die Umfrage wurde schnell schwieriger. Zum Beispiel wurde ich gebeten, an die vergangenen drei Monate zurückzudenken und mich daran zu erinnern, ob die Okras, Kürbisse oder Yamswurzeln, die ich eventuell gegessen hatte, gebraten gewesen waren, und wenn ja, ob dazu Frittierfett, Bechermargarine, Butter, Backfett (in dieser Kategorie waren unerklärlicherweise gehärtetes Pflanzenöl und Schweineschmalz zusammengefasst worden), Oliven- oder Rapsöl oder ein Topf mit Antihaftbeschichtung benutzt worden war. Ich konnte nur hoffen, dass die Befrager meine Antworten mit Vorbehalt aufnehmen würden, denn ich konnte mich ehrlich nicht mehr daran erinnern, und bei den Okras, die ich in einem Restaurant gegessen hatte, hätte weder ein Hypnotiseur noch ein CIA-Agent aus mir herausbekommen, in was für einer Art Fett sie zubereitet worden waren. Wir geben heute die Hälfte unseres Nahrungsbudgets für Mahlzeiten aus, die nicht zu Hause zubereitet wurden; wie sollen wir da wissen, welche Fettarten in unserem Magen landen?
Im zweiten Abschnitt der Befragung wurde es noch vager. Ich sollte nämlich genau angeben, wie oft ich in den letzten drei Monaten eine 100-g-Portion Brokkoli gegessen hatte; auf die gleiche Weise sollte ich bei einer schwindelerregenden Menge anderer Obst- und Gemüsesorten meinen Verbrauch abhaken. Wahrscheinlich hätte sich noch nicht einmal der phänomenale Marcel Proust mit der vom Fragebogen geforderten Präzision daran erinnern können, was er in den letzten neunzig Tagen gegessen hatte.
Im Abschnitt über das Fleisch kennt man die angegebenen Portionsgrößen seit den Zeiten von Präsident Hoover – der in den mageren Jahren nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 die Geschicke der USA lenkte – nicht mehr. Ein 100-g-Steak gilt als »mittlere« Portion; sollte ich da wirklich zugeben, dass das Steak, das ich in den letzten drei Monaten bei einer unerinnerbaren Anzahl von Gelegenheiten mit Genuss verspeist hatte, wahrscheinlich dem Zwei- oder Dreifachen (oder, im Falle eines Steakhouse-Steaks, mindestens dem Vierfachen ) dieser Portionen entsprochen hatte? Wohl eher nicht. Bei den meisten »mittelgroßen Portionen«, mit denen ich meinen eigenen Verzehr vergleichen sollte, kam ich mir vor wie eins von diesen Schweinen, die ich gerne hier und da ein paar Gramm schlanker gemacht hätte. (Schließlich stand ich nicht unter Eid.)
Auf der Grundlage solcher Angaben werden heute die weitreichendsten Fragen über Ernährung und Gesundheit entschieden. »Die intellektuell anspruchsvollste Herausforderung im Bereich der Ernährung«, schreibt Marion Nestle in Food Politics, »besteht darin, die Nahrungsaufnahme zu ermitteln.« Eine wahrlich unbequeme Tatsache: Das gesamte Feld der Ernährungswissenschaft ruht auf einem Fundament aus Unwissenheit und Lügen über die grundlegendste Frage der Ernährung: Was essen die Menschen? Bei einem Mittagessen fragte ich Nestle, ob ich vielleicht zu hart urteilte. Sie lächelte.
»Wenn Sie wirklich wissen wollen, was ein Mensch isst, brauchen Sie eine zweite unsichtbare Person, die ihm überall hin folgt, Fotos macht, sich Zutaten ansieht und exakte Tabellen über die Zusammensetzung der Lebensmittel konsultiert, und diese Person haben wir nicht.« Wenn Sie in einem FFQ angeben, Sie hätten eine Karotte gegessen, sieht der Tabulator in einer Datenbank des US-Landwirtschaftsministeriums nach, um genau zu bestimmen, wie viel Kalzium oder Beta-Carotin diese Karotte enthalten hat. Aber weil nicht alle Karotten von Natur aus gleich sind und
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