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Lebens-Mittel

Lebens-Mittel

Titel: Lebens-Mittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Pollan
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vermuten. (So der Ernährungswissenschaftler T. Colin Campbell von der Cornell University in seinem Buch The China Study .) Andere meinen, es könnte an der speziellen Eisenart in rotem Fleisch (dem sogenannten Häm-Eisen) oder den beim Erhitzen von Fleisch entstehenden Nitrosaminen liegen. Vielleicht sind es die steroiden Wachstumshormone, die typischerweise in Fleisch und Milch vorhanden sind; von diesen Hormonen (die auf natürliche Weise in Fleisch und Milch vorkommen, bei einer industriellen Produktion aber oft in höheren Konzentrationen vorliegen) ist bekannt, dass sie bestimmte Krebsarten fördern.
    Möglicherweise ist bei einer fleischreichen Ernährung auch gar nicht das Fleisch selbst das Problem, sondern die Pflanzen, die von dem vielen Fleisch vom Teller geschubst wurden. Wir wissen es einfach nicht. Aber gesundheitsbewusste Esser brauchen nicht darauf zu warten, dass die Wissenschaft diese Frage beantwortet, um zu beschließen, dass es klug sein könnte, mehr Pflanzen und weniger Fleisch zu essen. Genau das hatte natürlich der McGovern-Ausschuss uns zu sagen versucht.
    Der Nullsummen-Irrtum der Ernährungswissenschaft erschwert eine konkrete Aussage zur Wirkung eines einzelnen Nährstoffs weiter. Wie Gary Taubes schreibt, ist es schwierig, einen Ernährungsversuch mit zum Beispiel einem gesättigten Fett zu entwerfen, denn sobald Sie es aus der Versuchsnahrung entfernen, haben Sie entweder die Kalorien in dieser Nahrung drastisch zurückgefahren, oder Sie haben das gesättigte Fett durch etwas anderes ersetzt: andere Fette (aber welche?), Kohlenhydrate (welche Art?) oder Protein. Egal was Sie tun, Sie haben in das Experiment eine zweite Variable eingeführt, sodass Sie einen beobachteten Effekt nicht eindeutig der Abwesenheit des gesättigten Fettes zuschreiben können. Er könnte genauso gut auf die reduzierte Kalorienzahl oder die hinzugefügten Kohlenhydrate oder auf die mehrfach ungesättigten Fette zurückzuführen sein. Für jede getestete Ernährungshypothese können Sie eine alternative Hypothese entwerfen, die auf der An- oder Abwesenheit des ersetzten Nährstoffs beruht. Ein ziemliches Chaos.
    Auch der Placeboeffekt bereitet der Ernährungsforschung seit jeher viel Kummer. Rund ein Drittel der Amerikaner sind das, was Forscher »Responder« nennen – Leute, die auf eine Behandlung oder Intervention reagieren, egal ob sie sie tatsächlich bekommen haben oder nicht. Wenn Sie ein Medikament testen, können Sie das dadurch korrigieren, dass Sie in Ihrem Versuch ein Placebo verwenden, aber wie korrigieren Sie den Placeboeffekt in einem Ernährungsversuch? Es geht nicht: Fettarme Lebensmittel schmecken selten so wie das echte Produkt, und niemand wird eine Fleischvorspeise mit einem vegetarischen Ersatz verwechseln.
    Marion Nestle warnt auch davor, die Ernährung aus dem Kontext des Lebensstils herauszulösen, was besonders riskant ist, wenn man die Ernährung verschiedener Populationen vergleicht. Die Mittelmeerkost gilt weithin als eine der gesündesten traditionellen Ernährungsformen, aber viel von dem, was wir über sie wissen, beruht auf Studien an Menschen, die in den 1950er Jahren auf der Insel Kreta lebten – Menschen, deren Leben sich in vielerlei Hinsicht von dem unseren unterschied. Ja, sie nahmen Unmengen von Olivenöl und mehr Fisch als Fleisch zu sich. Aber sie verrichteten auch mehr körperlich schwere Arbeit. Als Anhänger der griechischorthodoxen Kirche fasteten sie häufig. Sie aßen Mengen wild wachsendes Grünzeug – Unkraut. Und, was vielleicht am wichtigsten ist, sie nahmen insgesamt sehr viel weniger Kalorien als wir zu sich. Ebenso beruht viel von dem, was wir über die gesundheitlichen Vorteile einer vegetarischen Ernährung wissen, auf Studien mit Siebenten-Tags-Adventisten, die das Ernährungsbild trüben, weil sie nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf Alkohol und Nikotin verzichten. Diese externen, aber unvermeidlichen Variablen werden treffenderweise Störfaktoren genannt.
    Ein letztes Beispiel: Leute, die Nahrungsergänzungsmittel nehmen, sind gesünder als die Gesamtbevölkerung, aber ihre Gesundheit hat wahrscheinlich gar nichts mit den Zusatzstoffen zu tun, die sie schlucken – von denen die meisten, wie neuere Studien nahelegen, wertlos sind. Personen, die Nahrungsergänzungsmittel nehmen, sind im Durchschnitt gebildeter, wohlhabender und stärker an ihrer persönlichen Gesundheit interessiert – Störfaktoren, die wahrscheinlich ihre bessere Gesundheit

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