Lebens-Mittel
Wie das Adverb andeutet, geht es hier nicht nur um Obst und Gemüse. Unter »Nicht zu viel« verlagert der Schwerpunkt sich von den Lebensmitteln als solchen zu der Frage, wie sie gegessen werden sollten – den Methoden, Sitten und Gewohnheiten, die in die Schaffung einer gesunden, wohltuenden Esskultur eingehen.
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Essen Sie Lebensmittel: Meine Definition von Lebensmitteln
Als ich in einem Vortrag von Joan Gussow zum ersten Mal den Rat »Essen Sie einfach Lebensmittel« hörte, kam mir das ziemlich merkwürdig vor. Natürlich sollen wir Lebensmittel essen – was denn sonst? Aber Gussow, die auf einer überschwemmungsgefährdeten Landzunge am Hudson River den Großteil ihrer Lebensmittel selbst erzeugt, weigert sich, die meisten Supermarktprodukte mit diesem Titel zu ehren. »In den vierunddreißig Jahren, die ich mich mit Ernährung beschäftige«, sagte sie in ihrem Vortrag weiter, »habe ich beobachtet, dass echte Lebensmittel aus weiten Teilen des Supermarkts und einem Großteil der übrigen Essenswelt verschwunden sind«. Deren Platz auf den Regalen hat ein endloser Strom nahrungsähnlicher Ersatzartikel eingenommen – rund siebzehntausend kommen jedes Jahr neu dazu – »Produkte, die überwiegend um den Kommerz und die Hoffnung herum konstruiert wurden, unterstützt durch beängstigend wenig wirkliches Wissen.« Trotzdem gibt es auch die gewöhnlichen Lebensmittel noch, sie werden weiterhin angebaut und gelegentlich sogar im Supermarkt verkauft, und diese gewöhnlichen Lebensmittel sollten wir essen.
Angesichts unserer gegenwärtigen Verunsicherung und den Tausenden von Produkten, die sich Lebensmittel nennen, ist das allerdings leichter gesagt als getan. Einen Anhaltspunkt liefern die folgenden Faustregeln. Sie geben Ihnen unterschiedliche Landkarten der aktuellen Nahrungslandschaft an die Hand, aber alle dürften Sie mehr oder weniger zum selben Ziel bringen.
Essen Sie nichts, was Ihre Urgroßmutter nicht als Lebensmittel erkannt hätte . Warum Ihre Urgroßmutter? Weil Ihre Mutter und möglicherweise auch Ihre Großmutter heute genauso verunsichert wäre wie wir alle; um sicherzugehen, müssen wir mindestens ein paar Generationen zurückgehen, zu einer Zeit, als es die meisten modernen Lebensmittel noch nicht gab. Je nachdem, wie alt Sie (und Ihre Großmutter) sind, müssen Sie also zu Ihrer Urgroßmutter oder sogar Ihrer Ururgroßmutter zurückgehen. Einige Ernährungsfachleute empfehlen, sogar noch weiter zurückzugehen. John Yudkin, ein britischer Ernährungswissenschaftler, dessen frühe Warnungen vor den Gefahren raffinierter Kohlenhydrate in den 1960er und 1970er Jahren überhört wurden, äußerte einmal: »Essen Sie nichts, was Ihre jungsteinzeitlichen Vorfahren nicht erkannt hätten, dann geht es Ihnen gut.«
Was würde es bedeuten, auf dieser Basis im Supermarkt einzukaufen? Nun, stellen Sie sich vor, Sie hätten Ihre Uroma neben sich, während Sie Ihren Einkaufswagen durch die Gänge schieben. Sie stehen zusammen vor der Theke mit den Milchprodukten. Sie nimmt ein Tubenjoghurt in die Hand – und hat keine Ahnung, was das sein könnte. Ist das etwas zu essen oder eine Zahnpasta? Und wie genau verzehrt man es? Nun könnten Sie Ihrer Uroma sagen, es wäre einfach Joghurt in einer zum Spritzen geeigneten Verpackung, aber wenn sie die Zutatenliste liest, hätte sie gute Gründe, an dieser Aussage zu zweifeln. Sicher, da ist ein bisschen Joghurt drin, aber auch ein Dutzend andere Dinge, die nicht entfernt joghurtähnlich sind, Zutaten, die sie wahrscheinlich gar nicht als irgendein Lebensmittel erkennen würde: fructosereicher Maissirup, modifizierte Maisstärke, koschere Gelatine (aus Fischen), Carrageen, Tricalciumphosphat, natürliche und künstliche Geschmacksstoffe, Vitamine und so weiter. (Die Zutatenliste für die Beeren-Bubblegum-Variante dieses Tubenjoghurts sieht wieder anders aus und führt alles Mögliche auf, außer Beeren und Kaugummi.) Wie konnte Joghurt, der zur Zeit Ihrer Uroma einfach aus Milch bestand, die mit einer Bakterienkultur geimpft worden war, nur so kompliziert werden? Ist ein Produkt wie Tubenjoghurt immer noch ein vollwertiges Lebensmittel? Überhaupt ein Lebensmittel? Oder einfach ein Lebensmittelprodukt?
Es gibt im Supermarkt tatsächlich Hunderte nahrungsähnlicher Erzeugnisse, die Ihre Vorfahren einfach nicht als Nahrung erkennen würden: Müsliriegel mit leuchtend weißen Adern, die Milch darstellen sollen, mit Milch aber rein gar nichts zu tun
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