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Lebens-Mittel

Lebens-Mittel

Titel: Lebens-Mittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Pollan
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anderes erwarten, als dass es das Problem der westlichen Ernährung in den medizinischen Bereich verschiebt, statt sie (auf der Ebene des Patienten oder der Politik) abzuservieren. Man kann einfach nicht davon ausgehen, dass Medizinanbieter für die kulturellen oder ökologischen Dimensionen des Nahrungsproblems sensibel sind. Erst wenn Ärzte die Fastfood-Franchise-Unternehmen aus ihren Kliniken hinausgeworfen haben, wissen wir, dass sich das geändert hat.
    Was würde eine ökologischere, stärker kulturell ausgerichtete Annäherung an das Ernährungsproblem uns raten? Wie könnten wir anfangen, dem Nährstoffwahn und damit den schädlichsten Folgen der westlichen Ernährung zu entkommen? Für Denis Burkitt, den im 2. Weltkrieg in Afrika stationierten englischen Arzt, der den Zivilisationskrankheiten ihren Namen gab, schien die Antwort einfach, aber letztendlich entmutigend. »Wir werden die Krankheit nur einschränken können«, sagte er, »wenn wir zur Ernährung und zur Lebensweise unserer Vorfahren zurückkehren.« Das klingt ungemütlich nach dem Vorgehen der diabetischen Aborigines, die zwecks Selbstheilung in den Busch zurückkehrten. Aber ich glaube nicht, dass Burkitt das im Sinn hatte; und selbst wenn es so gewesen sein sollte, ist es für die meisten von uns keine besonders attraktive oder praktikable Strategie. Nein, die Herausforderung für uns heute besteht darin herauszufinden, wie wir den schlimmsten Faktoren des westlichen Ernährungs- und Lebensstils entkommen können, ohne in den Busch zurückzukehren.
    Theoretisch könnte nichts einfacher sein: Um der westlichen Ernährung und dem Nutritionismus zu entkommen, müssen wir nur aufhören, nährstoffbezogen zu essen und zu denken. Aber angesichts der tückischen Umwelt, in der wir heute leben, und den Bedingungen, unter denen Nahrungsmittel heute produziert werden, und angesichts des Verlusts eines kulturellen Rüstzeugs, das uns als Kompass dienen könnte, ist das in der Praxis sehr viel schwerer. Das wird schon an der Frage deutlich, was als vollwertiges und was als weiterverarbeitetes Lebensmittel zu bezeichnen ist – scheinbar eine der leichteren Unterscheidungen zwischen moderner Industrienahrung und älteren Nahrungsformen. Gyorgy Scrinis, der den Begriff »Nutritionismus« prägte, behauptet, das Wichtigste bei jedem Lebensmittel sei nicht sein Nährstoffgehalt, sondern der Grad seiner Bearbeitung. Er schreibt, »vollwertige Lebensmittel und industriell hergestellte Lebensmittel sind die einzigen beiden Lebensmittelkategorien, die ich in eine sinnvolle ›Lebensmittelpyramide‹ aufnehmen würde«. Mit anderen Worten: Statt uns um die Nährstoffe zu kümmern, sollten wir einfach alle Lebensmittel meiden, die so stark bearbeitet sind, dass sie eher ein Industrie- als ein Naturprodukt sind.
    Das klingt nach einer vernünftigen Faustregel, bis Sie sich klarmachen, dass industrielle Methoden inzwischen auch über viele vollwertige Lebensmittel hereingebrochen sind. Ist ein Steak von einem Weiderind, das Mais, verschiedene industrielle Abfallprodukte, Antibiotika und Hormone gefressen hat, noch ein »Vollwertlebensmittel«? Ich bin mir nicht sicher. Das Rind ist mit westlicher Kost aufgezogen worden, und dadurch ist sein Fleisch ganz anders – Art und Menge des enthaltenen Fetts, Vitamingehalt – als das Rindfleisch, das unsere Vorfahren gegessen haben. Die industrialisierte Aufzucht des Rinds hat außerdem sein Fleisch so verbilligt, dass wir wahrscheinlich öfter und mehr von ihm essen als unsere Altvorderen. Das legt nahe, dass dieses Rindfleisch auch in anderer Hinsicht zu einem industriellen Nahrungsmittel geworden ist: Es soll auch wie am Fließband gegessen werden – als Fastfood.
    Es ist also nicht einfach, sich von der westlichen Ernährung zu verabschieden. Aber ich bin mir sicher, dass es gelingen kann, und im Lauf meiner Recherchen habe ich ein paar einfache (und eindeutig unwissenschaftliche) Faustregeln gesammelt und ausgearbeitet; diese persönlichen Essstrategien können uns zumindest die richtige Richtung zeigen. Sie sagen nicht viel zu einzelnen Lebensmitteln – mit welcher Art Öl Sie kochen sollten, oder ob Sie Fleisch essen sollten oder nicht. Auch über Nährstoffe oder Kalorien werden Sie nicht viel erfahren, auch wenn es die Nährstoff- und Kalorienbilanz in Ihrer Ernährung zwangsläufig verändern wird, wenn Sie diesen Regeln entsprechend essen. Ich bin nicht daran interessiert, irgendjemandem ein Menü zu diktieren;

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