Lebens-Mittel
nicht gesund wären, wären sie und die Leute, die sich an sie halten, nicht mehr da.
Eine traditionelle Ernährungsform hat natürlich zwei Dimensionen – die Lebensmittel, die ein Volk isst, und die Art, wie es sie isst -, und für unsere Gesundheit könnten beide gleich wichtig sein. Beschäftigen wir uns zunächst mit dem Inhalt traditioneller Ernährungsformen, und sparen wir uns die Form, das heißt die Essgewohnheiten, für das nächste Kapitel auf.
In mancher Hinsicht gleichen traditionelle Ernährungsformen anderen regional üblichen Kulturschöpfungen, etwa der Architektur. Durch einen langen, schrittweisen Prozess von Versuch und Irrtum entdecken Kulturen, was funktioniert – wie sich die Bedürfnisse des Menschen am besten mit dem vereinbaren lassen, was die Natur an einem bestimmten Ort zur Verfügung stellt. So lässt sich an der Schräge eines Daches ablesen, wie viel Regen oder Schnee in einer bestimmten Gegend fällt – je steiler, desto mehr Niederschlag -, und wie stark eine Küche würzt, spiegelt das lokale Klima auf andere Weise. Ein stark gewürztes Essen schützt die Menschen vor Überhitzung; viele Gewürze wirken außerdem antimikrobiell, was wichtig ist in einem warmen Klima, in dem das Essen schnell verdirbt. Tatsächlich haben Wissenschaftler festgestellt, dass eine lokale Küche umso mehr würzt, je heißer das Klima ist.
Die Kochkunst kümmert sich natürlich nicht nur um die Gesundheit oder überhaupt die Biologie; viele kulinarische Verfahren sind willkürlich und wahrscheinlich sogar fehlangepasst, etwa das Polieren von Reis. Die Küche eines Volkes kann eine kulturelle Funktion haben; sie ist eine der Möglichkeiten, durch die eine Gesellschaft ihre Identität äußert und ihre Unterschiede zu anderen Gesellschaften unterstreicht. (Religiöse Speisegesetze wie Kaschrut und Halal erfüllen diese Funktion für Juden bzw. Muslime.) Diese kulturellen Intentionen könnten erklären, warum eine Küche so änderungsresistent ist; oft heißt es, die Assimilation eines Zuwanderers würde sich zuletzt in seiner Speisekammer zeigen. Der Ernährungspsychologe Paul Rozin hat allerdings auch gezeigt, dass die bleibenden »aromatischen Leitfaktoren« einer Küche – Zitronen und Olivenöl im Mittelmeerraum, Sojasoße und Ingwer in Asien, Ketchup in Amerika – es einer Kultur erleichtern, nützliche neue Speisen zu integrieren, die ohne diese gewohnten Zutaten inakzeptabel fremd schmecken würden.
Trotzdem ist das Essen mehr als viele andere kulturelle Gepflogenheiten tief im Naturhaften verwurzelt – in der menschlichen Biologie einerseits, der Natur da draußen andererseits. Die speziellen Lebensmittelkombinationen und Zubereitungsmethoden in einer regionalen Küche bilden ein Reservoir, in dem alle Erfahrungen, die an diesem bestimmten Ort mit Ernährung und Gesundheit gemacht wurden, sich angesammelt haben. Viele traditionelle kulinarische Verfahren sind das Ergebnis einer Art biokultureller Evolution, deren Genialität die moderne Wissenschaft gelegentlich im Nachhinein begreift. In Lateinamerika wird Mais traditionell zusammen mit Bohnen gegessen; jeder Pflanzenart fehlt eine essenzielle Aminosäure, die zufällig in der anderen reichlich vorhanden ist. Zusammen bilden Mais und Bohnen also eine ausgewogene Ernährung, wenn das Fleisch fehlt. Mais wird in diesen Ländern traditionell auch mit Kalkstein gemahlen oder in ihm eingeweicht, sodass ein B-Vitamin im Mais erschlossen wird, dessen Fehlen zu einer Mangelkrankheit namens Pellagra führen würde. Wenn eine Gesellschaft ein neues Lebensmittel ohne die es umgebende Lebensmittelkultur übernimmt, werden die Menschen sehr oft krank; das geschah zum Beispiel, als der Mais zum ersten Mal nach Europa, Afrika und Asien kam. Der Kontext, in dem ein Lebensmittel gegessen wird, kann fast so wichtig sein wie das Lebensmittel selbst.
Die alte asiatische Methode, Sojabohnen zu fermentieren und sie in Form eines Tofu genannten Bohnenquarks zu essen, macht aus einer Pflanze, die bei fast jeder anderen Zubereitungsart die Menschen krank machen würde, ein gesundes Lebensmittel. Die Sojabohne selbst ist ein auffallend unheilvolles Grundnahrungsmittel; sie enthält ein ganzes Sortiment von »Antinährstoffen« – chemische Verbindungen, die die Vitamin- und Mineralstoffresorption des Körpers blockieren, das Hormonsystem durcheinanderbringen und verhindern, dass der Körper die im Soja vorhandenen Proteine aufspaltet. Die asiatischen Esskulturen
Weitere Kostenlose Bücher