Lebens-Mittel
aus einer erwiesenermaßen wertvollen Kost herausgreifen, bleibt es im Allgemeinen eine adäquate Erklärung schuldig, warum Leute, die diese Kost zu sich nehmen, länger leben oder weniger oft Herzkrankheiten oder Krebs haben als Leute, die eine moderne westliche Ernährung verdrücken. Das vollständige Ernährungsmuster ist offenbar größer als die Summe seiner Teile.
Einige dieser Einzellebensmittel stehen zur aktuellen wissenschaftlichen Ansicht über eine gesunde Ernährung in eklatantem Widerspruch. Wenn man die Messlatte der meisten offiziellen Ernährungsempfehlungen anlegt, ernähren die Franzosen sich schlecht: viel zu viel gesättigtes Fett und Wein. Auch die Griechen haben ihr Paradox; entgegen den Empfehlungen, maximal 30 Prozent unserer Kalorien sollten von Fetten stammen, sind es bei ihnen 40 Prozent, überwiegend in Form von Olivenöl. Und so fangen die Forscher an, nach Synergien zwischen den Nährstoffen zu suchen: Könnten die Antioxidanzien im Rotwein dazu beitragen, die Fette zu verstoffwechseln? Vielleicht. Aber es scheint unwahrscheinlich, dass irgendein Lebensmittel, Nährstoff oder Mechanismus für sich allein jemals das Französische Paradox wird erklären können; wahrscheinlicher ist, dass wir irgendwann erkennen, dass es nie ein Paradox war. Ernährungsparadoxe lassen sich am besten als Zusammenbrüche im nutritionistischen Denken verstehen, als ein Zeichen, dass mit dem wissenschaftlichen Konsens etwas nicht stimmt – und nicht mit der betreffenden Ernährungsform.
Aber die Suche nach dem Faktor X in der Ernährung gesunder Populationen geht weiter (PubMed, eine englischsprachige Meta-Datenbank mit wissenschaftlichen Artikeln zum gesamten Bereich der Biomedizin, führt unter »French Paradox« [Französisches Paradox] 257 Einträge und unter »Mediterranean Diet [Mittelmeerkost] weitere 828 Einträge auf), weil die reduktionistische Wissenschaft verständlicherweise neugierig ist und der Nutritionismus es verlangt. Wenn die geheime Zutat identifiziert würde, könnten weiterverarbeitete Nahrungsmittel so umgebaut werden, dass sie mehr von ihr enthalten, und wir könnten so weiteressen wie bisher. Der einzige Weg, von der Weisheit traditioneller Ernährungsformen zu profitieren, scheint – abgesehen vom Bücherschreiben – darin zu bestehen, sie mit Hilfe der reduktionistischen Wissenschaft zu zerlegen und dann ihre Nährstoffbestandteile zu verkaufen.
In den letzten Jahren ist eine weniger reduktive Methode der praktischen Ernährungsforschung entstanden, die vollständige Ernährungsmuster und nicht einzelne Lebensmittel oder Nährstoffe untersucht. Die ersten Ergebnisse erhärten tendenziell den Gedanken, dass traditionelle Ernährungsformen uns tatsächlich vor chronischen Krankheiten schützen und von einem Ort und einer Population auf einen anderen Ort und eine andere Population übertragbar sind. Sogar einige mit der Nurses’ Health Study befasste Forscher haben inzwischen angefangen, Ernährungsmuster zu analysieren; in einem Fall haben sie eine vernünftige Ernährung nach mediterranem und asiatischem Vorbild (viel Obst, Gemüse und Fisch, wenig rotes Fleisch und Milchprodukte) mit einer typisch westlichen Ernährung (hoher Anteil an Fleisch und Fleischwaren, raffinierten Getreiden, zuckerhaltigen Nahrungsmitteln, Pommes frites und Milchprodukten) verglichen. Die Studie fand »überzeugende Beweise« dafür, dass der vernünftige Ernährungsstil das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringern kann. 41 Eine andere neuere Untersuchung einer traditionellen Ernährung auf Pflanzenbasis ergab, dass diese sogar im Vergleich zu einer fettarmen westlichen Ernährung mit genauso viel Gesamtfett, gesättigtem Fett, Protein, Kohlenhydraten und Cholesterin der Herz-Kreislauf-Gesundheit der Probanden besser bekam. Das legt nahe, dass es wichtiger sein könnte, der Ernährung bestimmte Lebensmittel hinzuzufügen (Gemüse und Obst? Vollwertiges Getreide? Knoblauch?), als die üblichen Verdächtigen in Ernährungsfragen wegzulassen. 42
Wie die Autoren der ersten Studie aufzeigten, besteht die Stärke eines solchen Ansatzes darin, »dass er eher der Realität entspricht«, weil er »komplizierte Interaktionen zwischen Nährstoff- und Nicht-Nährstoff-Substanzen in Studien an frei lebenden Menschen berücksichtigen kann«. Die Schwäche der Methode besteht darin, dass sie »im Hinblick auf die einzelnen Nährstoffe, die [für eventuell beobachtete gesundheitliche Folgen]
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