Lebensbilder I (German Edition)
Mutter kaum hin, die Ehre unseres Namens zu retten. Es galt einen Streit, schlimmer als der Kampf auf dem Schlachtfelde. Tag und Nacht mußte ich aufmerken und ausharren, mußte Staatsmänner besuchen, ihre Gesinnung erforschen, sie für mich einzunehmen, für meine Sache zu gewinnen suchen, sie und ihre Weiber, Diener und – Hunde. Oh, es war ein trauriges Geschäft und mußte obendrein in eleganten Kleidern und mit der Miene angenehmen Scherzes verrichtet werden. Mir ward's klar, woher die matte, dürre, lebensmüde Gestalt meines Vaters! –
Etwa ein Jahr lang arbeitete ich so mit unerhörter Anstrengung, lebte äußerlich wie ein Weltmann, innerlich gar nicht; als Herr de Villele ausschließlich für uns ein kaiserliches Dekret erneute, das unserer Rechte uns verlustig machte und uns zugrunde richtete.
Ich unterzeichnete den Verkauf meiner Güter, behielt nur eine einzige kleine Insel auf der Loire, die nichts enthielt als die Asche meiner Mutter, und fühlte mich groß bei dieser Handlung, ja groß! voll Feuer und Liebe. Mein Notar nannte sie eine Torheit, aber mein Vater hatte eine Träne im Auge, der kalte, starre Mann eine Träne!
Seine Gläubiger waren zufriedengestellt, der Name gerettet und – mein Vater starb zehn Monat darauf vor Gram und Sorgen um mich. – Solange er lebte, hatte er sich rauh und kalt gegen mich erwiesen; nur ein einziges Mal, wie ich erzählt, hatte er mich sein Kind genannt, was mich zerschmolz in Rührung – und er starb aus Gram um mich, weil ich verarmt und unversorgt dastand in der Welt! – Schmerzen machen uns groß, das fühlte ich jetzt; vielleicht ist's Stolz auf ein gutes Bewußtsein, vielleicht auch Trotz, wenn wir den Fügungen uns gewachsen fühlen, die uns das Schicksal auferlegt. –
»Gott ist mein Zeuge, edler Vater!« sprach ich laut, dem Leichnam die kalten Augenlider schließend; »ich habe dich geliebt, so trocken, dürr und hölzern du dich auch mir zeigtest. Solange du lebtest, durfte ich nicht ein einzig Mal dich umarmen! Törichte Scham! die mich oft zurückhielt. Das Leben ist voll dummer, sinnloser Fratzen. Um nichts fährt man mit diesen Stangen wohl tausendmal durch die Luft, und ich, ich habe nicht ein einzig Mal den Wunsch erfüllen können, den Vater an mein volles Herz zu schließen. – Doch einmal nannte er mich sein Kind, einmal weinte er eine Freudenträne um mich! Sieh, Vater, eine bessere Erbschaft hinterläßt du mir als die mütterliche, die ich deinethalben hingab. Ruhe sanft, du kalter, müder Mann!«
Es war im Frühling des Jahres 1826, und ich zählte 22 Jahre, als ich ganz allein meinen Vater, meinen ersten, einzigen Freund, zu Grabe geleitete. – Wenigen Jünglingen begegnet es wohl, so ganz einsam, bis auf ihre Gedanken, solch einem Sarge zu folgen. Aussichten, Hoffnungen hatte ich nicht. Eine Waise, ein Findling darf auf das Mitleid der Menschen zählen, der Tagelöhner verrichtet niedre, grobe Arbeit und weiß, nicht jedermann wird sie verrichten; doch so zu hoffen, versagte mir mein Stolz und dennoch – keinen Augenblick noch graute mir vor der Zukunft.
Indes kam's auch besser, als ich erwartet. Kurze Zeit nach jenem ernsten, verhängnisvollen Gang übergab mir ein Gerichtsbote: 11120 Franken, soviel war liquidiert aus dem ganzen Nachlaß. – Freilich war alles Mobiliar mit verkauft und auch das darunter, was ich ungern mißte, weil sich so manche liebliche Erinnerung der Kindheit daran knüpfte. – Ein alter Kammerdiener, der mir sehr zugetan war und dem meine Mutter noch eine lebenslängliche Pension von 400 Franken ausgesetzt, sagte mir, in Tränen Abschied nehmend: »Sein Sie nur ja recht sparsam, Herr Raphael.«
»Das verspreche ich dir, alter, ehrlicher Bertram! Du siehst ja! einen Verschwender will das Schicksal nicht aus mir bilden.«
Aber ist der nicht der eigentliche Verschwender, der sich freudig dem Nichts gegenüber sieht? der alles verloren hat und sagt: nun bin ich der Sorgen ledig! – Das Haus, in welchem ich wohnte, war schon nicht mehr mein: die Säle und Zimmer waren öde, möbellose Vierecke. Ich besaß kein wirkliches Eigentum außer dem Grabe meiner Mutter, und meines Herzens Besitztum lag im Grabe meines Vaters. Ich war wie losgeschält von der Welt, niemand kümmerte sich um mein Leben, so wenig wie mein Tod jemand bekümmert haben würde, und gleichgültig und fremd, wie ich allen Menschen, waren alle Menschen mir. – Doch war mein jetziges Dasein erfreulicher als mein Aktenleben! – armer
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