Lebensbilder I (German Edition)
Dichter und selbst die Satiriker und Epigrammatisten huldigen, die Gebrechen der Zeit verspottend, den Gebrechen der Zeit. – Die französischen Novellisten sind treffliche Kenner des Lebens, aber ohne Lebensweisheit; sie betrachten scharf die Welt, doch fehlt ihnen jede Weltanschauung. Sie lassen das Leben vielgestaltig, musivisch-zerstückt, heterogen, verworren, trivial und unsittlich, wie es ist; denn wo Dichtergeist, Phantasie und Seele anfangen, sind sie zu Ende. Was gibt es Lächerlicheres, als jene allgemeine Sucht, zu porträtieren, zu bezeichnen und zu beschreiben?! Ein Dichter muß den ganzen Charakter in all' seinen Eigenheiten fühlen lassen. Das Beschreiben ist eine allzubequeme Art – der Maler hat nur äußere Gestalten, aber er weiß die innerste Seele darin abzudrücken. Wäre es nicht ein Unsinn, wenn er die Seele einer Gestalt durch allerlei kleine Symbole andeuten wollte? Mindestens ist es des Dichters ebenso unwürdig. Rock, Nase, Schuhschnallen und Manschetten einer Nebenperson, die dem Helden eines Romans nur die Tür öffnet, oder die Schuhe putzt, oder einen Brief ihm überbringt, oder überhaupt von gar keiner Bedeutung ist, zu beschreiben. Freilich, hier ahmen die Novellisten wieder ganz das Leben nach, denn eine Person, die uns auf der Straße begegnet, trägt ebenfalls einen Rock von gewisser Farbe, hat eine gebogene oder spitze Nase, Manschetten, Schuhschnallen usw. Diese Fehler alle hat sich freilich auch Balzac oft zuschulden kommen lassen, ja, nicht mit Unrecht werfen ihm die Kritiker Unsittlichkeit vor. Aber das war Musik in seinen Ohren; denn nicht umsonst hat er gesagt: er schriebe nur, um gelesen zu werden, er entziehe sich jeder Kritik. Bisher schilderte er nur das äußere Leben, und Sittlichkeit lebt nur inwendig. Darum gestehen seine unkeuschen Heldinnen ein: sie leben fürs Hospital! Darum sind seine vollkommnen Weiber, Mädchen und Hausfrauen Puppen, die man an- und auszieht, und er beschreibt, was sie an- und ausziehen; die man zu Bette bringt und wieder auf. nimmt, und er beschreibt ihre Schlafkammern und Bettvorhänge und Betten. Darum basiert sich bei ihm alles Lebens- und häusliche Glück auf eine tüchtige Jahresrente und das allerliebst eingerichtete, tapezierte, dekorierte Haus, und er beschreibt jede Litze, jeden Nagel, alles Hausgerät: Tassen, Tischzeug, Silber; alles modisch, in neuster Fasson, mit Angabe des Ateliers, wo es zu haben. – O, seine Kritiker waren nur allzu gütig gegen ihn; er ist unsittlich durch und durch: denn der Dichter ist es, der nur die geistlos äußere Lebenshülle zum Ziel seines Schaffens setzt – aber gebt acht, gebt acht! – er wird auch sittlich dichten!
Drittes Blatt
Ich hatte früher schon eine Übersetzung des »Sturm« von Shakespeare, der »Runenburg« und des »Liebeszauber« von Tieck und der »Melusine« von Goethe begonnen. Es war ein schwieriges Unternehmen. Ich ließ es liegen, weil es meine Kräfte zu übersteigen schien, doch mit erneutem Mut dachte ich jetzt an diese Arbeiten. – Balzac bürgte mir dafür, daß Frankreich nicht ganz poetisch verwahrlost sei. Ich versprach mir Erfolg; wo nicht, so hat doch mancher Maler sich gebildet, indem er die Muster seiner Kunst kopierte, übersetzen ist Kopieren. Doch nur in Paris durfte ich hoffen, mein Dichtertalent geltend zu machen, und im schlimmsten Falle verließ ich mich auf meine 11 120 Franken.
Mit freudig schwindelndem Kopfe und hochschlagendem Herzen durchirrte ich ganz Paris, besonders aber die entlegensten Winkel, um eine Wohnung mir zu suchen, freundlich, frei und angemessen meinem Leben und meiner Beschäftigung. So kam ich eines Abends in die Rue des Cordiers. Der Himmel war heiter, die Lüfte wehten lau; vor allen Türen saßen Männer und Weiber auf Bänken, Stühlen, schwatzten miteinander oder arbeiteten. Woher diese Dorfsitte, fragte ich, mitten in Paris? Aber die Straße war vollkommen einsam und entlegen. An der Ecke der Straße Cluny spielten mehrere Kinder Federball. Ein kleines Mädchen von etwa vierzehn Jahren zog besonders alle Blicke der Nachbarn wie auch die meinigen auf sich. Es gibt eine Mädchenschönheit, in ihrer Unreifheit der Formen himmlisch, weil sie dem frischgefallenen Schnee, dem diamantklaren Eise gleicht, das, einmal nur erwärmt, den Glanz der Makellosigkeit verliert. Es gibt keine Göttin der Unschuld, sonst hätte ich diesem Mädchen ihren Namen gegeben. Jawohl! die Bildnerkunst muß bei der Natur in die Schule gehen,
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