Lebensbilder I (German Edition)
Vater, die Sorge für das Deinige verödete dein Leben! Meine Habseligkeiten packte ich in einen Mantelsack, und sollte Frankreich noch eine Revolution, Kaisertum, Restauration und Invasion erleben, wer kann leichter fliehen mit all dem Seinen als ich? Selbst meine Theater, Soirees, Kunstausstellungen, Unterhaltungen, Zerstreuungen, meine Freunde, Freundinnen, Geliebten, meine Gattinnen, meinen Harem konnte ich mit mir nehmen: einen kleinen Bücherbord mit englischen, spanischen, italienischen und deutschen Dichterwerken.
Ich hatte stets mit Eifer fremde Sprachen getrieben, und vor allem Englisch und Deutsch. Dort fand ich die Heimat der Romantik! – Romantik – törichtes Wort! auch die Klassizität war zu ihrer Zelt eine Romantik.
Die Dichter lernt man erst lieben und erkennen, nachdem man Schmerz und Mißgeschick erkennen und lieben gelernt. Drei Dichter jetzt – ich darf sagen – machten mir mein Dasein lieb. Shakespeare, der den Weisenstein der Poesie gefunden, der alles in Gold verwandelt und stets sich jung erhält. Er fühlte die höchsten Schmerzen und gab sie hin, daß selbst Fühllosigkeit sie nachfühlen muß, nachfühlen in aller Shakespearschen Schmerzensfreude, in aller Shakespearschen Erhabenheit des Trostes. Er hat gewiß auch viel im Leben geduldet, getragen, erlitten, aber niemals wollte er Teilnahme für Unglückliche einflößen, sondern eine gewisse Leidensweisheit, nicht Mitleid, sondern menschliches Mitgefühl. Er klagte nie, wie Lord Byron etwa und dessen Nachahmer, er triumphierte stets in Freuden und Leiden, die allen Zeiten, Menschen, Völkern angehören.
Goethe dagegen lehrt uns das Eigene, Selbsterlebte lieben: alles sei uns teuer, selbst unsere Verirrungen, unsere Versäumnisse. Der selbstmörderische »Werther«, der verzweifelnde «Faust« sind Gedanken, Besitztümer, die sorgfältig und sauber und geschützt wider jegliche Zerstörung in dem Schrein der Erinnerung aufbewahrt werden. Er ist ganz Deutscher! – die deutsche Nationalität ist aber eine Zersplitterung, darum konnte ein deutscher Shakespeare nicht ganz erstehen, er mußte sich zersplittern in dem nationalen Goethe, zu national, um ganz Dichter zu sein, und in dem poetischen Neck, zu sehr Dichter, um so ganz national zu werden.
Tieck ist der Absolutist im Dichterstaate. Er ist nur für Dichter Dichter und ergötzt nur seinesgleichen. Andere Dichter muß man studieren, er gibt die Erholung nach solchen Studien, eine Erholung, bei der man kaum merkt, daß man eigentlich nur seine Studien repetiert. Dichter werden geboren, Tieck gebar sich noch einmal in seiner ganzen Eigentümlichkeit aus allen andern Dichtern, die er mit geschmeidigem Geiste durchlief. Man träumt, schwärmt, phantasiert, lächelt, lacht und faselt bei ihm und stets mit Vernunft und Weise.
Was sind unsere französischen Dichter gegen diese! Ein wirklich poetisches Talent haben nur drei: Scribe, Dumas und Balzac, für Lustspiel, Tragödie und Novelle. Ihre Werke sind aber nur quantitativ, nicht qualitativ. Erfindüng, Stoffe sind genial, die Ausführung ist matt, seele- und geistlos. Sie gleichen ganz dem Leben, sie produzieren tausendfach, aber der ordnende Geist fehlt, die Eigenheit des Kunstwerkes, wodurch es sich über der Zeit für alle Zukunft erhält. Denn das nur Geborne muß wieder vernichtet werden, aber der Geist ist ewig und das einzige Präservativ wider Zerstörung. Keinem unserer Dichter ist es noch eingefallen, wie absurd und kleinlich es ist, einen welthistorisch wichtigen Moment in ein Kompliment an die Zuschauer auslaufen zu lassen und ein angeregtes menschlich-wichtiges Interesse in einem mächtigen Theatercoup lächerlich abzubrechen. Wie das Leben, das sie vor sich sehen, und über welches sie noch nicht hinaus sind, paaren sie Bedeutendes mit Unbedeutendem, Sinn mit Unsinn, Erhabenes mit Gemeinem. Und woher gleichen sie und gehören sie ganz und gar dem Leben an? Weil sie für das Leben selbst dichten, für das Händeklatschen des Parterre, für das Amüsement der Damen in den Rängen. Drum keine Lorbeeren ihnen! keine Bildsäulen! keine Unsterblichkeit! – das Geklatsche von Männerhänden, Weiberzungen und Journalistenfedern zahlt ihre Verdienste; die Menschheit ist an ihnen quitt. Auch Aristophanes huldigte seinem Volke in all dessen Eigenheiten, doch – als Dichter, der seinen Charakter behauptet, dem das Volk wiederum huldigen muß. Nur der darf die Gebrechen der Zeit rügen, der sich frei davon weiß. Doch alle unsere
Weitere Kostenlose Bücher