Lebensbilder I (German Edition)
folgenden nicht noch einmal. Wir müssen es zurücklegen, vergessen, um nach geraumer Zeit von neuem davon überrascht zu werden. – Auch zur mühseligen Grundlage einer andern Arbeit findet man sogleich nicht Lust, denn die Freude, etwas getan zu haben, will auch erst genossen, ausgekostet und vorüber sein. Dem Autor bleibt in solchen Zeiten nichts – als wie ein Acker brach zu liegen. – Selbst meine Übersetzungen, die nun vollendet, nötigten mich jetzt, müßig zu sein, und meine Freude hatte ich auch daran, denn ich durfte mir sagen: so einfach, kräftig und gefühlvoll sei das Französische noch nie gesprochen worden.
Es war zu Anfang Dezember, das Wetter winterlich heiter, und ich durchirrte die lebhaftesten, geräuschvollsten Gegenden der Hauptstadt, deren buntes und lautes Leben, Lärmen und Treiben mir einigermaßen wieder neu erschien. Mitten im Gedränge begegnete mir einer meiner ehemaligen Bekannten. Rastignac faßte ohne Umstände meinen Arm und erkundigte sich mit sehr zudringlicher Herzlichkeit nach meinem Befinden, Leben, Tun und Treiben. – Ich hatte keine Ursache, irgend etwas zu verheimlichen.
«Also ein Dichter willst du sein?« fragte er laut lachend. »Und warum nicht?«
»Es heißt so viel, als wollest du nichts sein. Heutzutag ist jeder Dichter, das heißt: er verachtet alle Dichter bis auf sich selbst, denn nur seine vielfältigen wichtigen Geschäfte und Sorgen halten ihn ab, seine sämtlichen klassischen Werke zu schreiben. Du aber willst alle wichtigen Geschäfte und Sorgen des Lebens hintansetzen, um für andere das zu sein, was sie zu sein verschmähen, genial, empfindungs-, phantasie- und ideenreich? Welche Anmaßung!«
»Dennoch hat man nie mehr das Bedürfnis nach Dichtern und Künstlern gefühlt als heute. Wann wurde je so viel gelesen, wann galten Theater, Konzerte, Kunstausstellungen so viel in allen Salons, Zeitungen und Gesprächen?«
»Also in die Reihe der Scribe, Rossini, Paganini. Sontag und Taglioni willst du treten? Ja! das ist ein anderes und läßt sich besser hören. Der erste gewinnt 100.000 Franken jährlich mit seinen Lustspielen, der zweite das zweifache mit seinen Opern, der dritte das dreifache mit seiner Geige, die vierte das vierfache mit ihrer Kehle und die fünfte das fünffache mit ihren Fußzehen. Da gehört's denn freilich nicht bloß zur Mode, zum Ton, sondern zur Kultur, hinzugehen, um solche wunderbare Kehlen, Finger und Füße sich anzu. sehen, die in einem Abend so viele silberne Frankenstücke und goldene Napoleons ausmünzen, nebenbei auch zu berechnen, wieviel Sous davon auf jeden Buchstaben, jede Note, jeden Entrechat kommen. Zugleich sind das auch die Wunder der Zeit, in der keine Tote mehr lebendig werden, keine Gelähmten mehr ihr Nett auf den Rücken nehmen und davon gehen, und keine Felsen mehr Wasser geben, wenn man mit dem Stabe daran schlägt. Man wundert sich jetzt darüber, daß, wenn von 100 000 Menschen jeder zwei Franken einem Künstler gibt, dieser eine Summe von zweimal hunderttausend Franken sogleich zusammen hat, und wer wollte da mit zwei Franken knausern, um einer derjenigen zu sein, die dies merkwürdige Experiment mitmachen: ob es sich denn auch wirklich bestätigt? Übrigens weiß jeder, daß Kunst und Künstler etwas ganz anderes sei, als man da zu sehen, zu hören und zu lesen bekommt. Aber Gedanken sind zollfrei, und da die Hörer, Leser und Zuschauer den Künstlern das bare Gold gönnen, überlassen diese, aus angeborner Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit, jedem, der dafür bezahlt, sein eigenes Urteil. Andere Beurteiler, die sie bezahlen, haben freilich diese Gedankenfreiheit nicht, das aber gehört nicht hierher, denn es heißt: leben und leben lassen, und wenn der Künstler leben will, muß er die Journalisten loben lassen.
»Und dennoch sagt man, die Zeit sei nicht wundertätig?«
»O es findet nur kein Wunderglaube statt, sonst müßte die Zeit vor Verwunderung närrisch werden, statt närrisch zu sein, ohne sich drüber zu verwundern!«
»Und deshalb sollte ich nicht Dichter sein wollen?«
«Dichter sein? was willst du damit sagen? Freund: gewohne dir eine Sprache an, die ein ehrlicher Mann versteht. Denke, du beträtest einen Salon! Wer ist der seine Jüngling? fragen die Damen, Antwort: Ein Dichter! – aber das ist keine Antwort; denn es heißt: es ist kein Bankier, Diplomat, Schauspieler, Baron, Kammerherr usw.; nach Genie wird nicht gefragt.«
»Und es kann gefragt werden, wer protegiert ihn?
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