Lebensbilder I (German Edition)
günstigen Bescheid zurück und geleitete den Alten zu einer Reihe kostbarer Gemächer, deren Türen alle offen standen. Im letzten gewahrte der Professor seinen Schüler an der Ecke eines Kamins im weichen Armstuhl sitzen. Er erhob das Auge von dem Buche, worin er las: ein klares Auge voller Güte, Liebe und Leid, dessen leuchtende Blicke wohl und weh taten.
»Sieh da, Vater Perriguet!« sprach er zu seinem alten Lehrer. »Nun, wie geht's?«
»Mir ziemlich gut, jedoch Ihnen?»
»Je nun! ich hoffe, wohl!«
»Sie haben ohne Zweifel ein großes Werk unter Händen?«
»Es ist vollendet!«
»Und mit der barbarischen Sprache jener neueren Schule haben Sie doch sicher nichts zu schaffen?«
»Ich folge den Eingebungen meines Innern!«
»Gut gesagt! Demungeachtet, liebes Kind, ist ein lauterer, fließender Stil, die Sprache des Fenelon, des Herrn von Buffon und Racines, immer etwas sehr Wesentliches und Notwendiges.«
»Aber was führt Sie zu mir?« unterbrach ihn Raphael mit gerunzelter Stirn.
Er warf einen Blick auf das Elendsfell. Seinem Sitze gegenüber war es auf einem roten Tuche angebracht, und eine schwarze Linie umgab seine wunderlichen Umrisse, um jede Verminderung sogleich merklich zu machen. So sollte der fürchterliche Talisman stets ihn mahnen, seine in Wünschen verschwendete Zeit nachzuholen, um geltend zu machen, was der Himmel ihm an Talent und Geist verliehen. Er war schon gewöhnt worden, in jedem Augenblick würdig sich beschäftigt zu wissen, und jener Alte führte ihm wieder die ganze Unbedeutendheit des Lebens vor Augen. Er bereute es schon, ihn vorgelassen zu haben, hätte ihn gern dahin gewünscht, wo der Pfeffer wächst; aber das drohende Elendsfell verwies ihn mit unerbittlicher Strenge zur Geduld, und er wagte es nicht einmal zu seufzen.
»Ja, mein Kind!« antwortete der Professor, »fast hätte ich vergessen, was mich zu dir führt, und welch ein Zweck meinem Besuche zugrunde liegt.« Hiermit begann er eine lange Erzählung, welchen Verfolgungen er seit der Julirevolution ausgesetzt war. Der gute Mann wollte eine kräftige Regierung und hatte den frommen Wunsch geäußert: die Gewürzkrämer möchten auf ihre Kontore, die Staatsmänner ans Ruder der Geschäfte, die Advokaten auf ihre Bänke und die Pairs in den Palast Luxembourg zurückkehren. Ein populärer Minister des Bürgerkönigs hatte ihn deshalb des Karlismus beschuldigt, ihn vom Katheder verbannt und ihn amt-, brot- und hilflos gemacht. Das alles schilderte er mit weitschweifiger Eleganz und Genauigkeit und mit jenen rednerischen Umschreibungen, woran seine lange Professur ihn gewöhnt. Er wollte nicht einmal in seine Stelle wieder eingesetzt werden, sondern nur das Rektorat in einer fernen Provinz, und nicht einmal seinetwegen, sondern seines Adoptivsohnes wegen, der, unversorgt, bisher bei ihm gelebt und jetzt mit ihm darbte. Sein ehemaliger Schüler konnte vielleicht ein gutes Wort bei dem Minister für ihn einlegen.
Mit vollkommener Resignation hatte Raphael bis hier ihm zugehört. »Wie aber kann ich Ihnen helfen?« unterbrach er den Flehenden, »ich stehe in keiner Beziehung zu dem neuen Minister.«
»Ach, wenn du nur wolltest!« sprach der Greis, wehmütig den Kopf schüttelnd.
Mit gutmütigem Eifer rief Raphael: »Kennen Sie mich noch nicht besser, Vater Perriguet? Denken Sie, ich lasse mich bitten, wenn mein Wille was vermag? In diesem Falle, seien Sie versichert, hätten Sie heute, spätestens morgen Ihre Bestallung.«
Mit einem plötzlichen Schrei unterbrach er sich. Das Elendsfell vor seinen Augen zeigte ihm einen Streif zwischen seiner Kante und der schwarzen Linie.
»Zum Henker mit dir, alter Geck!« rief er dem Greise zu, und der Zorn hatte sein Gesicht zu Marmor erstarrt, seine Augen wetterleuchteten. »Ja, freilich wirst du nun Rektor werden, doch hättest du eine Leibrente von 10 000 Talern gefordert, ich hätte sie dir lieber gegeben, und es hätte mich nichts gekostet – zum Teufel, es gibt hunderttausend Ämter in Frankreich, und ich habe nur ein Leben, und wiegt nicht ein Menschenleben alle Ämter der Welt auf? Jonathan!«
Jonathan kam.
»Schurke! halbtot sollte ich dich prügeln und fortjagen. Was führst du jenes graue Scheusal her, das mir mein Leben stiehlt? Noch ein solcher Streich, und du kannst mich dahin geleiten, wohin ich meinen Vater geleitet.«
Scheu und zitternd standen beide Greise vor dem Wütenden. Aber sein Zorn war gebrochen, er sank in seinen Sessel zurück, schlug die Hände
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