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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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seine Schöne an, und sie zwang ihr schielendes Auge zu verliebten Blicken. Mit einer raschen Bewegung bot er ihr den Arm, mit einer zierlichen empfing sie ihn. Sie spazierten drei- bis viermal im Salon auf und nieder und ernteten behaglich die spöttischen Blicke, das unterdrückte Lachen, die sarkastischen Bemerkungen ein, die ihr Anblick erzeugte.
    »Da geht der ewige Jude!« rief ein kecker Kontorist. »Und die ihm zur Seite ist Lea, womit sein Stammvater, der erste spitzbübische Israelit, so garstig betrogen wurde!« fügte sein Gefährte hinzu.
    »Auf welch einem Kirchhof hat sie den Leichnam ausgescharrt?« fragte eine Dame mit allen Zeichen des Ekels. »Und welchem Schneider hat er die häßliche Kleiderpuppe gestohlen?« entgegnete ihr Führer darauf.
    »Nicht wahr, Herr Marquis,« fragte ein Dichter aus der romantischen Schule Raphael, »das ist Pandora mit der Büchse, worin alle möglichen Übel enthalten?«
    »Oder das geflickte Lumpenkönigspaar, das Goethe im Hamlet sehen will!« antwortete Raphael.
    » Plait-il, Monsieur le Marquis? «
    Raphael wiederholte das Gesagte, und der Romantiker verstand ihn nicht.
    »Ei, sieh da, Herr Marquis!« redete plötzlich der widerwärtige Greis ihn an. »Erinnern Sie sich noch unseres letzten Zusammentreffens? Großmütiger Mann! Sie haben mich dem Leben wiedergegeben, und, wie Sie sehen, hole ich nach, was mein böses Schicksal solange, bis auf den leisesten Wunsch, mich zu meiden zwang. Ach! ich bin so glücklich wie ein siebzehnjähriger Knabe. Alle Torheiten, Lappalien, Spielereien des Lebens sind mir wieder neu geworden. Es hat sein Gutes, hier die Natur umzukehren. Die Jugend verlebt im Schnee und der Strenge des Alters, das stählt die Lebenskräfte und macht sie dauernd; das Alter dagegen verjüngt, pflegt und konserviert sich in den Rosenträumen und Frühlingsfreuden der Jugend. Ich kann Ihnen kaum sagen, wie glücklich ich bin, und mein letzter Lebenshauch soll noch ein Liebesseufzer sein, der den Inbegriff der Daseinswonne erschöpft!«
    Er ging.
    »Armer Mann! du willst mich höhnen und tröstest mich!« sagte Raphael.
    Das Orchester präludierte zum zweiten Akt und rief die Zuschauer auf ihre Plätze zurück; das Foyer leerte sich, und auch der Marquis suchte seine Loge auf. – Das Haus war sehr gefüllt. Feodora war ebenfalls in einer Loge des ersten Ranges erschienen. Sie nahm den Schal ab, um ihren blendenden Hals zu entblößen, und machte alle die tausend Umständlichkeiten einer Kokette, welche, bevor sie sich niederläßt, bemerkt sein will. Ein junger Pair war ihr Führer. Sie hatte ihm ihre Lorgnette aufzuheben gegeben und ließ sie sich jetzt von ihm reichen, ganz wie an jenem Abend von Raphael, als er sie begleitet hatte. Und mit einem einzigen Blicke hatte sie wieder das ganze Haus durchmustert, konnte über das unkleidsame Barett einer Polin, über den unmodischen Anzug einer Italienerin und den auffallenden Hut einer Bankierstochter sich lustig machen und tat es lächelnd, um ihre perlenweißen Zähne zu zeigen. Rastlos regte sich ihr schönes, blumengeschmücktes Haupt, und ihre ganze Gestalt und jede Bewegung drückte die Seligkeit aus, die schönste, eleganteste und am geschmackvollsten gekleidete Dame im ganzen Hause zu sein.
    Raphael betrachtete ihren jungen Führer: »Ob auch sein redliches Herz an ihrer Kälte verzweifeln wird? ob sie auch sein edles Vertrauen mit Schlangenklugheit zum Werkzeug ihrer Pläne mißbrauchen wird? – oder ist er vielleicht nur einer der Alltagsanbeter, dem es genügt, an ihrer Seite Aufsehen zu machen und über tausend Nebenbuhler zu triumphieren, bis ein neuer über ihn den Sieg davonträgt?« – Gelassen betrat er den Vordergrund seiner Loge und ließ sich auf die erste Bank nieder. Feodora erblickte ihn und erblaßte. Sein ruhiges Auge wirkte schlimmer als zwei Blitze auf sie. Es war das Gefühl der Scham und des Zornes, demjenigen sich gegenüber zu sehen, der so beißend sie pasquilliert, so schonungslos sie entlarvt hatte, und von allen ihren tausend Anbetern war es keinem eingefallen, ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Sie hatte alle so zahm gemacht, daß jeder sein Blut sparte. Der Einzige, der sie so geliebt, um im ersten Augenblick unbedenklich als ihr Ritter aufzutreten, der – hatte ihr die Kränkung bereitet, die solche Liebe nur bereiten konnte. – Ihre Augen suchten jetzt einen Gegenstand, das fatale Vis-à-vis zu meiden, und mußten stets wieder dahin zurück. Dennoch blieb ihr ein

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