Lebensbilder I (German Edition)
ältlichen Formen des Gesichts, die dünnen Schläfen, das spitze Kinn, die, trotz dem falschen Gebisse, eingeschrumpften Lippen seltsam und grauenhaft. An einigen Stellen des Gesichts war der Überzug schadhaft geworden, und die bleifarbige Haut kam zutage; überhaupt bildeten sich gar wunderliche Nuancen und Tinten beim Lichtwechsel, wo durch die weiße und rote Lasur der dunklere Grund hindurchschimmerte. Dieser unechte Jüngling trug eine Halsbinde, geschürzt nach der neuesten Mode, zierliche Stiefelchen, deren lange Sporen zu jedem Tritte klirrten. Sein eleganter Frack war gepolstert und zugeknöpft, daß eine Art von Taille entstand, und er verschlang seine Arme, grätschte seine Beine so trotzig, als wolle er irgend einen Bildner auffordern, einen Herkules nach ihm zu modellieren. – Immer anziehender wurde dem Jüngling diese lebendige Puppe; er verglich sie mit einem alten, rauchverdorbenen Rembrandt, von irgendeinem Pfuscher restauriert, gefirnißt und neu berahmt. Jener bemerkte jetzt den Jüngling und betrachtete ihn seinerseits ebenso genau. – Lebenslustiges Alter – schwermutvolle Jugend – plötzlich belebte sich dem Jünglinge das Gedächtnis, die erweckte Erinnerung trat klar aus dem Nebel: er kannte jenen erbärmlichen Greis. Es war der unheimliche Kunsthändler vom Kai de Voltaire, der, befreit vom drohenden Elendsfell, seinen Philosophenbart bis auf einen langen Henriquatre abrasiert, seinen morgenländischen Schlafrock mit einem modern eleganten Frack vertauscht und aus einem boshaften Stoiker sich zu dem lächerlichsten epikuräischen Narren umgewandelt hatte, den je die Welt oder die Grille eines Tollhäuslers erzeugen konnte. – Das Überraschende einer so plötzlichen Entdeckung mochte wohl in Raphaels offenem Angesicht sich spiegeln, und ein satanisches Lächeln jener Gestalt schien auszudrücken: »Jetzt bist du der Greis, die Jugend ich!«
»Dahin also führt die praktische Lebensweisheit?« fragte sich Raphael. »Ist die unreife, geckenhafte Jugend, die tölpisch nach dem Schlamm des Lebens greift, das höchste Glück? Ich stehe mit meinem poetischen Gemüt in einer Wüste, die Welt dünkt mich ein Tollhaus. Sie ist ein Tollhaus, und wie man Blödsinnige und Verrückte zur Arbeit anhält, damit sie ihre Wildheit und fixen Ideen vergessen, so mag vielleicht die Industrie, welche die ganze Menschheit jetzt beschäftigt, und ohne die sie verhungern müßte, eine weise, wohltätige Anordnung des Weltgeistes sein; eine Tollhauskur, damit die heutigen ausgetrockneten Gehirne alle nicht allzusehr ausschweifen.« Je länger er aber den Greis betrachtete, desto weniger belachenswert und desto widriger und gehässiger ward er in seinen Augen. – »Ist es möglich, daß ein kunstsinniges, kunstliebendes Alter solche Abgeschmacktheiten begeht und so wenig ahnt, daß es sie öffentlich zur Schau trägt? Doch nein, es ist jener boshafte Egoismus, der im Widersinnigen sich offenbart und gefällt, sich freut, Neid, Verdruß und Ärger zu erregen, und deshalb Reichtum und Lebenskraft zur Schau tragen will. Kann ich jemals so unglücklich werden wie dieser Greis, der sich freut?« – So dachte er und fühlte sich getröstet!
Da trat eine junge Operntänzerin, ebenso berühmt durch ihre Kunst wie durch ihre Häßlichkeit, zu dem Alten. Nach Art auffallend häßlicher Leute war sie bunt und in schreienden Farben gekleidet, eine echte Schnur großer orientalischen Perlen umschlang mehrmals ihren schamlos entblößten Hals. Mit frechen Blicken sprach sie zu dem Greise, um aller Welt die Quelle ihres Reichtums zu zeigen, und wie sie über die unermeßlichen Schätze ihres alten Liebhabers unumschränkt gebiete. Auch sie schien sich zu freuen, Neid, Verdruß und Widerwillen zu erregen.
»Ein herrliches Paar!« dachte Raphael, – »Häßlichkeit und Unsinn! Ihr Egoismus macht sie einer des andern wert, bestimmt sie für einander.« Und es fiel ihm jetzt ein, daß er ja nur die Erfüllung eines ausgesprochenen Fluches sehe. »So wird durch Wirklichkeit übertroffen, was Raserei und Verzweiflung eines Selbstmörders fluchen kann. Oh, ich war ein Stümper im Fluchen; zum Fluchen gehört Kenntnis der Welt, und keiner vermochte besser zu fluchen als der größte Menschenkenner Shakespeare. Beten lehrt uns das Herz und seine Gottnähe, aber was wir Welt und Leben nennen, kann in Beziehung zur Gottheit nur als der Fluch derselben gedacht werden.«
Der Greis lächelte jetzt mühsam unter der dicken Schminke
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