Lebensbilder I (German Edition)
vergelten suchte, was die Mitwelt schmählich versäumt hatte. Schiff ist bisher auch diese Ehrenrettung versagt geblieben; er wird nur selten genannt; und wo es geschah, waren Böswilligkeit, Verkennung, Urteilslosigkeit und Fahrlässigkeit zur Stelle, um auch noch des Toten Namen zu verunglimpfen.
Nun ist Schiff zweifellos kein Charakter gewesen, der subtilerer moralischen Begutachtung standhielte. Und in vollem Maße trifft auf ihn der Ausspruch Goethes zu, daß der persönliche Charakter des Schriftstellers seine Bedeutung beim Publikum hervorbringe. Wenn Schiff deshalb heute vergessen ist und nicht mehr gelesen wird, wie er eigentlich auch zu seiner Zeit nicht allzuviel gelesen wurde, so ist das von Goethes Standpunkte aus und vieler anderen Umstände wegen begreiflich. Aber viel zu hart ist es, wenn die repräsentativste Persönlichkeit der deutschen Literaturwissenschaft, Karl Goedeke , – schroff wie sonst niemals – über ihn den Stab bricht, ihn beweislos einen Zuchthäusler nennt und zu den verkommenen Genies rechnet. Denn das war Schiff nicht. Die gewissenhaftesten Nachforschungen und die amtlichen Bekundungen all der Behörden, mit denen Schiff zu tun hatte, beweisen, daß er niemals in Korrektionshäusern saß. Er hat dreimal kleine Anstände mit der Leipziger Polizeibehörde gehabt (welcher politische Schriftsteller hatte solche im Vormärz nicht?) und wurde in Hannover wegen Ehrenbeleidigung eines literarischen Gegners zu einer dreiwöchigen Arreststrafe verurteilt. Das ist alles, was ihm nachgewiesen werden kann. Schiff war gewiß ein zügelloser Mensch, ein Phantast, ein schwacher Charakter voll der bizarrsten Schrullen und Launen; aber er saß keine Sekunde im Kerker, wenn auch die Hamburger Polizei, der er wegen seiner Eigenheiten sehr unbequem war, es versuchte, ihn festzusetzen. Damit war Schiff großes Unrecht widerfahren, und er mußte nach kurzer Haft wieder freigelassen werden, hat also nicht, wie Goedeke meint, »meistens in Polizeihaft gelebt«, wie er auch nicht im Armenhause gestorben ist.
Goedeke teilt leider nicht mit, woher er seine für Schiff diffamierenden Nachrichten bezog. Das ist um so beklagenswerter, als seine Angaben in allen Kompendien, die Schiffs Namen erwähnen, Aufnahme gefunden haben. Niemand, der Goedekes Ausführungen nachdruckte, nahm sich die Mühe, die Berechtigung der erhobenen Anklagen zu erforschen. Kritik- und bedenkenlos wurden sie abgeschrieben; nur Adolf Bartels machte in seinem »Handbuch der deutschen Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts« einen knappen Zusatz, worin er Goedeke naiv nennt, weil dieser meinte, die Juden hätten mit Schiffs unmoralischem Lebenswandel nichts zu tun. Es wäre verdienstlicher gewesen, wenn Bartels Goedekes Bericht erst nachgeprüft hätte, ehe er sich zu der doppelten Verurteilung Schiffs und Goedekes entschloß.
Jedenfalls erhellt schon aus der Berichtigung dieser weittragenden falschen Mitteilung Goedekes, daß seine Schiffbiographie (wie alle andern bisher erschienenen, die sämtlich mehr oder weniger wörtliche Paraphrasen der Goedekeschen sind) nicht stichhält. Deshalb soll hier eine neue gegeben werden, die sich bemüht, alle Schiffs Namen anhaftenden falschen Behauptungen aus der Welt zu schaffen und ein richtiges Porträt dieser durchaus originellen und beachtenswerten Persönlichkeit zu entwerfen. Es wird sich zeigen, daß damit nicht nur einem mit Unrecht vergessenen Schriftsteller die verdiente posthume Ehrenrettung zuteil wird (die sich freilich von jeder Überschätzung sorgfältig fernhalten wird), sondern daß auch ein bedeutungsvoller Zeitraum deutscher literarischen Entwicklung nach verschiedenen Seiten hin neue Belichtung erfährt. Für die Geschichte der deutschen Romantik – dies sei vorweg hervorgehoben – ist die Darstellung der schriftstellerischen Laufbahn Schiffs von besonderer Bedeutung.
In einem reichen jüdischen Kaufmannshause zu Hamburg wurde David Bär [Fußnote: Den Vornamen Hermann bekam er erst mit vierzig Jahren bei der Taufe; als Schriftsteller führte er ihn schon früher. ] Schiff am 23. April 1801 geboren [Fußnote: Die Angaben aller Handbücher, die Schiffs Namen nennen, geben einen falschen Geburtstag und auch sonst unrichtige Daten in Hülle und Fülle an. Im einzelnen verweist diese Darstellung, die durchwegs im Hamburger Staatsarchive aufbewahrtes Aktenmaterial benützt, für dessen Überlassung den Herren Beamten an dieser Stelle herzlichst gedankt sei, nicht auf alle
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