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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Wirkung nicht verfehlt, wie ein Melodram voll Verbrechen. Die Spanier haben Stiergefechte, die Römer Gladiatorspiele, die Engländer nur Hahnenkämpfe; Frankreich dagegen besitzt Spielhäuser, und das Spiel ist ein Duell auf eine geladene und eine ungeladene Pistole; der Verlierer bekommt die geladene Pistole in die Hand, sich selbst zu erschießen. Nur daß das Ziel, zur Vermehrung der Lust und der Grausamkeit, meistens aufgeschoben wird, oft auch Geschicklichkeit das Glück verbessert. Diese Schauspiele finden jedoch mehr Teilnehmer als Zuschauer; zwar wechseln auf der Szene: Leidenschaftlichkeit ohne Grenzen und grausame Kälte, ausgelassene Jugendlichkeit und Alter, das nur im Laster wieder auflebt; – kurz, ein Überfluß der mannigfachsten Affekte. Aber die Szene ist zu bewegt für die Betrachtung, und das Personal ist zu groß; nur die menschliche Erniedrigung offenbart sich, nicht der Dämon des Spiels, der hier herrscht.
    Als der Jüngling eintrat, schien sich die gewöhnliche Stille einigermaßen zu vermehren. Er ging auf den Spieltisch zu, warf nachlässig ein Goldstück auf die grüne Decke und blieb unbeweglich stehen. Neugierig wandten sich alle Blicke zu ihm und jeder stutzte wie beim Anblick von etwas Ungewöhnlichem. Es war nicht die Gestalt des Lasters, die sich hier dem Laster nahte. Ein edler Stolz lag auf der hohen, von dichten blonden Locken umgebenen Stirn, lag in der Haltung, im schlanken Ebenmaß des Wuchses. Ein würdiger Ernst gab den schönen Gesichtszügen Ausdruck und Adel. Die dunkelblauen Augen blickten finster, aber zugleich wehmütig unter den zusammengezogenen Brauen hervor, und die Marmorblässe, die Regungslosigkeit deutete auf einen geheimen Entschluß der Verzweiflung, wie Todeserwartung. So ruhten seine Blicke unbeweglich auf den Händen des Bankiers.
    Lange zögerte dieser mit den vielfach gebrauchten Worten: » Faites le jeu – jeu fait! « Endlich ertönten sie wie der heisere Schrei eines Vogels, dessen Kehle keinen andern Laut hat.
    Ein schwarzköpfiger Italiener, dem die Spielsucht aus den Augäpfeln blitzte, gewann indessen Zeit, eine Hand voll Geldstücke auf die entgegengesetzte Farbe zu legen. Das Mißgeschick pflegt seine Opfer zu bezeichnen; vielleicht erkannte der Italiener in der Gestalt des Jünglings diese Zeichen und gründete darauf seine Spielerkombination. Der Erfolg gab ihm Recht.
    » Rouge perd! « verkündete offiziell der Bankier, und aus der Brust des Italieners erhob sich ein leises Jauchzen, als ihm der Bankier ein Päckchen Banknoten hinwarf. – Der Jüngling stand unbeweglich, bis der Stab des Croupiers sein Goldstück fortstrich. Stolz und schweigend, wie er gekommen, verließ er das Gemach.
    »Hätten wir diesem Herrn gefolgt! wie?« sprach ein Greis zu einem andern, indem er auf den muntern Italiener deutete; der Angeredete zuckte die Achseln.
    »Ich dachte es wohl, daß das Glück solche Spieler nicht begünstigt!« lachte der Italiener.
    »Er ist kein Spieler!« entgegnete der Bankier, »sonst hätte er mit seinem Goldstück dreimal pointiert.«
    Der Jüngling war währenddem schon durchs Vorzimmer geschritten, hatte dort seinen Hut zurückempfangen, ohne ihn zu fordern; war die Treppe hinab geeilt und verließ das Palais Royal. Bei der Rue St. Honoré schlug er den Weg nach den Tuilerien ein, durchstreifte den Garten, wie eine Wüste, hörte nicht das Geschrei der Ausrufer rings umher, stieß auf jeden, der ihm begegnete, und sah ihn nicht und war nur eines Gedankens fähig: Tod!
    Als er mitten auf dem Pont Royal stand, blickte er finster in die Wellen. Ein Herbstwind durchwehte ihn mit kaltem Schauer. Ein altes Weib ging dicht an ihm vorüber, hüllte sich tiefer in ihren zerlumpten Mantel und sprach fröstelnd: »Böses Wetter, um sich zu ertränken; das Wasser ist kalt und die Seine schlammig!« Dicht bei den Tuilerien aber lag das Rettungsschiff, worauf mit zwölf Zoll großen Buchstaben geschrieben stand: »Secours aux asphyxiés« . Ein bittres Lächeln umzuckte seine Lippen. »Wer kann den Selbstmörder seiner Verzweiflung zurückgeben?« fragte er in sich. »Könnt ihr ihm aufdringen, was er mutig fortwirft? Nur den Todeskampf könnt ihr verlängern. O schlimm, daß ihr's könnt und es auch tut; – aus Dummheit! aus Grausamkeit nicht! – Es gibt Lagen, wo der Selbstmord Pflicht wird. Was soll ich ferner auf der Welt? Ich habe nicht Vater, noch Mutter, noch Freunde, noch Geliebte, noch Verwandte. Ich habe keinen Heller, mein

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